Leitsatz (amtlich)

Ein Fahrradfahrer, der mit gesenktem Kopf, ohne nach vorne zu schauen, eine abschüssige Straße herunterfährt und mit einem querenden Fahrradfahrer kollidiert, verstößt gegen § 3 Abs. 1 S. 1 StVO sowie § 1 Abs. 2 StVO.

Das Vorfahrtsrecht der bevorrechtigten Straße gilt auch für den von einem Fahrradfahrer befahrenen Seitenstreifen.

Bei einer durch den Unfall erlittenen mehrfragmentierten Patellafraktur und einem kleinen Riss im Innenmeniskus, die weder eine Operation noch einen stationären Aufenthalt erforderlich machen, ist unter Berücksichtigung weiterer Umstände ein Schmerzensgeld in Höhe von 3.000,- EUR angemessen.

 

Verfahrensgang

LG Bochum (Aktenzeichen 2 O 246/17)

 

Tenor

Dem Beklagten wird Prozesskostenhilfe für seinen Zurückweisungsantrag im Hinblick auf die Berufung des Klägers bewilligt.

Darüber hinaus wird dem Beklagten Prozesskostenhilfe für die Anschlussberufung mit dem Antrag, das Urteil des Landgerichts Bochum vom 15.11.2017 (Az. 2 O 246/17) abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen, bewilligt.

Zugleich wird Rechtsanwältin Q aus F zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung der Rechte in dieser Instanz beigeordnet.

Im Hinblick auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten wird von der Anordnung einer ratenweisen Zahlung der Prozesskosten zunächst abgesehen. Sollten sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ändern, kann dieser Beschluss gemäß § 120a Abs. 1 ZPO abgeändert werden.

 

Gründe

I. Der Kläger verlangt von dem Beklagten materiellen Schadensersatz und Schmerzensgeld nach einer Fahrradkollision. Zudem begehrt er die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden.

Er befuhr am 10.7.2016 gegen 11 Uhr als "Ausflugsradler" in Begleitung die G-Straße in E in Richtung B .... Bei der G-Straße handelt es sich um eine untergeordnete Straße (Verkehrszeichen 205 - Vorfahrt gewähren). Im Bereich der Einmündung fuhr er bis auf den Standstreifen und kam dort - nach den erstinstanzlichen Feststellungen - zum Stehen. Der Beklagte befuhr mit seinem Rennrad den rechten Standstreifen der an dieser Stelle abschüssigen B ..., wobei er den Blick gesenkt hielt. Es kam zur Kollision mit dem Kläger.

Dieser erlitt zahlreiche Verletzungen, insbesondere eine Patellafraktur links. Er war 73 Tage arbeitsunfähig. Er verlangt Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 6.500,- EUR, Ersatz seines materiellen Schadens sowie die Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich zukünftiger Schäden.

Vorprozessual hat ihm der Beklagte einen Betrag in Höhe von 3.000,- EUR gezahlt.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der Beklagte habe den Seitenstreifen nicht befahren dürfen. Außerdem habe er grob fahrlässig gehandelt, weil er nach unten geschaut habe.

Der Beklagte hat demgegenüber gemeint, der Kläger habe sein Vorfahrtsrecht verletzt.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes einschließlich der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (Bl. 49 R f. d.A.) verwiesen.

Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und den Beklagten zu einer Zahlung weiterer 1.600,- EUR sowie zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 200,- EUR verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass der Kläger einen Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von weiteren 1.000,- EUR habe. Er sei bei dem Zusammenstoß nicht unerheblich verletzt worden. Das ursächliche Verhalten des Beklagten sei fahrlässig gewesen, weil er nach unten und nicht auf das vor ihm befindliche Verkehrsgeschehen geschaut habe. Er habe gegen § 3 Abs. 1 S. 1 StVO verstoßen.

Ein Mitverschulden des Klägers liege nicht vor. Der Anscheinsbeweis sei erschüttert, da der Kläger gerade keine Vorfahrtsverletzung begangen habe. Er sei gegenüber dem Beklagten nicht wartepflichtig, sondern als von rechts Kommender bevorrechtigt gewesen. Der Zusammenstoß habe sich auf dem Seitenstreifen ereignet. Dieser sei nicht Bestandteil der Fahrbahn und nehme daher auch nicht an dem Vorfahrtsrecht der Straße teil.

Unter Abwägung aller Umstände sei auch unter Berücksichtigung einer Entscheidung des Landgerichts Lübecks (Urteil vom 13.10.2004, Az. 12 O 73/04) ein Schmerzensgeld von insgesamt 4.000,- EUR angemessen.

Darüber hinaus habe der Kläger Anspruch auf materiellen Schadensersatz in Höhe von 600,- EUR. Die Reparaturkosten für das Fahrrad schätze das Gericht auf 31,- EUR. Es sei nachvollziehbar, dass durch den Zusammenstoß zumindest ein Schaden an dem Fahrrad in der Höhe eingetreten sei. Für den Helm könne er unter Berücksichtigung eines Abzugs Neu für Alt. 43,76 EUR geltend machen. Hinsichtlich des geltend gemachten Verdienstausfallschadens seien ersparte Aufwendungen in Höhe von 10 % zu berücksichtigen, so dass insgesamt 325,71 EUR zu ersetzen seien. Hinzu kämen die unstreitigen Positionen "Fahrtkosten" in Höhe von 103,20 EUR, "Eigenanteil Heilbehandlungen" in Höhe von 71,31 EUR sowie die Pauschale in Höhe von 25,- EUR.

Hinsichtlich des Fest...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge