Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung der vorzeitigen Besitzeinweisung in Baulandsachen (Umlegungsverfahren)
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Antrag nach § 224 Satz 2 BauGB, § 80 Abs. 5 VwGO auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung der vorzeitigen Besitzeinweisung in Umlegungsverfahren bleibt nicht nur dann erfolglos, wenn die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens offensichtlich fehlen, sondern regelmäßig auch dann, wenn sie wahrscheinlich fehlen oder wenn der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen anzusehen ist, in der konkreten Interessenabwägung die privaten Aussetzungsinteressen das öffentliche Vollzugsinteresse in Ansehung der gesetzlichen Vorbewertung des § 224 Satz 1 BauGB aber nicht überwiegen.
2. § 77 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 BauGB setzt für die vorzeitige Besitzeinweisung ein dringendes Gebotensein der sofortigen Ausführung im Sinne des § 116 Abs. 1 Satz 1 nicht voraus, sondern nur die Erforderlichkeit der vorzeitigen Besitzeinweisung für das Wohl der Allgemeinheit. Die Verweisung in § 77 Abs. 3 auf § 116 BauGB betrifft lediglich das Verfahren.
3. Der Senat hält an seiner den Leitsätzen zu 1. und 2. widersprechenden Rechtsprechung (Beschluss v. 29.10.2002 - 16 W (Baul., 1/02, juris) nicht mehr fest.
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Beschluss vom 26.10.2016; Aktenzeichen 30 O 4/16 (Baul.)) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1. und 2. wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten zu 1. und 2. tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Verfahrenswert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Die zulässige, insbesondere hinsichtlich ihrer Einlegung durch die Beteiligten zu 1. und 2. hinreichend bestimmte, sofortige Beschwerde ist unbegründet.
Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, dass die Kammer für Baulandsachen den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des gegen den Beschluss des Beteiligten zu 3. vom 31.8.2016 über die vorzeitige Besitzeinweisung der Beteiligten zu 4. in das Flurstück ... der Flur 17 der Gemarkung S gerichteten, unter dem Aktenzeichen 30 O 5/16 (Baul.) geführten Antrags auf gerichtliche Entscheidung zu Unrecht abgelehnt hat.
Die Kammer hat tragend darauf abgestellt, die Abwägung der von der vorzeitigen Besitzeinweisung betroffenen Interessen nach § 224 Satz 2 BauGB, § 80 Abs. 5 VwGO gebiete es nicht, von dem gesetzlichen Grundsatz des § 224 Satz 1 Nr. 3 BauGB abzugehen, dass der Antrag keine aufschiebende Wirkung habe. Der Besitzeinweisungsbeschluss sei nicht offensichtlich rechtswidrig. Vielmehr seien die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage des § 77 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 BauGB gegeben, weil Maßnahmen zur Verwirklichung des dieses Flurstück erfassenden Bebauungsplans xxx "Gewerbegebiet S" bevorstünden und die streitgegenständliche Fläche für die vorgesehenen Anlagen und Einrichtungen der Erschließung oder Versorgung des Gebietes benötigt werde. Der Einwand der Beteiligten zu 1. und 2., die Fläche sei weder für die beabsichtigte Verkehrsfläche noch für die Verlegung von Versorgungsleitungen erforderlich, sei gemäß § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB unbeachtlich mangels schriftlicher Geltendmachung gegenüber der Beteiligten zu 4. binnen eines Jahres nach Bekanntmachung des Bebauungsplans. Die Fläche werde für den Anschluss der Planstraße 7 an die Planstraße 4 benötigt, zunächst für die Verlegung der Versorgungsleitungen, dann für die Anlage von Stellplätzen. Der Beginn der Bauarbeiten sei auch im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Wirksamwerden der vorzeitigen Besitzeinweisung zum 30.9.2016 geplant. Im Rahmen der Interessenabwägung sei auch nicht ersichtlich, dass die Beteiligten zu 1. und 2. die Fläche, die unbebautes Gartenland sei, in einer Weise nutzten, welche die - im Falle ihres Obsiegens im Hauptsacheverfahren - vorübergehende Entziehung als einen unwiederbringlichen, durch die in § 116 Abs. 4 BauGB geregelte Entschädigung nicht aufzuwiegenden Nachteil erscheinen lasse.
Diese Erwägungen werden durch die Beschwerdebegründung nicht erschüttert.
Dabei hält der Senat an seiner in dem Beschluss vom 29.10.2002 - 16 W (Baul.) 1/02 - (juris, Rn. 3) geäußerten Rechtsauffassung, ein Antrag nach § 224 Satz 2 BauGB, § 80 Abs. 5 VwGO bleibe nur dann erfolglos, wenn entweder das Rechtsmittel der Hauptsache offensichtlich unbegründet sei oder dringende Interessen den sofortigen Bau der Erschließungs- oder Gemeinschaftsanlage unabweislich erforderlich machten, nicht fest. Diese mit dem Regelungszweck des § 80 Abs. 5 VwGO begründete Rechtsprechung wird der durch den Gesetzgeber in § 224 Satz 1 BauGB vorgenommenen spezialgesetzlichen Bewertung des Regelfalls, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die vorzeitige Besitzeinweisung nach § 77 (oder § 116) keine aufschiebende Wirkung hat, nicht hinreichend gerecht.
Vgl. auch Kalb, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautz-berger, BauGB, 122. EL August 2016, § 224 Rn. 26; Scharmer, in: Brügelmann, BauGB, 100. EL November 2016, § 224 Rn. ...