Entscheidungsstichwort (Thema)

Sicherungsverwahrung. Religionsgemeinschaften. Speisegebote. Recht zum Bezug von Halal-Frischfleisch

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach dem Wortlaut des § 17 Abs. 1 S. 4 SVVollzG NRW und dem erklärten Willen des Gesetzgebers (vgl. LT-Drs. NRW 16/1435 S. 73) ist Sicherungsverwahrten von der Vollzugseinrichtung ohne jeglichen Ermessenspielraum zu ermöglichen, Speisevorschriften ihrer Religionsgemeinschaft zu befolgen.

2. Die Vollzugseinrichtung ist zwar nicht verpflichtet, Untergebrachten die den Speisevorschriften ihrer Religionsgemeinschaft entsprechende Kost anstelle der Einrichtungsverpflegung zu verabreichen. Sofern aber besondere Speisegebote im Rahmen der Einrichtungsverpflegung nicht berücksichtigt werden, ist die Einrichtung gehalten, den Untergebrachten zu gestatten, sich etwa im Wege des Einkaufs solche Speisen selbst zu beschaffen und zuzubereiten. Diese Vorgaben erstrecken sich auch auf die Möglichkeit, halal hergestellte Fleischprodukte zu beziehen, auch wenn im Islam keine religiöse Pflicht besteht, Fleisch zu verzehren.

 

Normenkette

SVVollzG NRW § 17 Abs. 1 S. 4

 

Verfahrensgang

LG Arnsberg (Aktenzeichen 2 StVK 546/18)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der angefochtene Beschluss wird ebenso wie die angefochtenen Entscheidungen der JVA Werl insbesondere vom 20.12.2018 aufgehoben, soweit sie sich auf die vom Betroffenen beantragte Ermöglichung des Einkaufs von Halal-Frischfleisch beziehen.

Insofern wird die Vollzugsbehörde angewiesen, den Betroffenen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens einschließlich der diesbezüglich notwendigen Auslagen des Betroffenen hat die Landeskasse zu tragen. Die Kosten des Verfahrens in erster Instanz sowie die diesbezüglich notwendigen Auslagen des Betroffenen haben der Betroffene zu 1/4 und die Landeskasse zu 3/4 tragen.

 

Gründe

I.

Der Betroffene befindet sich seit dem 10.03.2017 in der Maßregel der Sicherungsverwahrung in der JVA Werl.

Da der Betroffene sich an die Speisevorschriften seines muslimischen Glaubens hält, nach denen er nur Lebensmittel verzehren darf, die "halal" hergestellt und behandelt wurden, der Anstaltskaufmann der JVA Werl jedoch im Unterschied zu entsprechenden Wurst- und Aufschnittprodukten kein Halal-Frischfleisch anbietet, beantragte er am 19.12.2018 die Online-Bestellung solcher Fleischartikel sowie von - auch im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren - nicht näher konkretisierten "türkischen Lebensmitteln". Dies lehnte die Antragsgegnerin am 20.12.2018 mit Hinweis darauf ab, das nach den in einem Merkblatt für den Paketversand im Bereich der Sicherungsverwahrung dargelegten Vorgaben der JVA Werl die Zusendung von leicht verderblicher Ware wie z.B. frischem oder tiefgefrorenen Fleisch nicht gestattet ist.

Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 20.12.2018 hat sich der Betroffene zunächst lediglich gegen diese ablehnende Entscheidung der Antragsgegnerin gewandt und mit anwaltlichem Schriftsatz vom 27.02.2019 zudem beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm den Einkauf von Halal-Fleisch beim Lebensmittellieferanten zu gestatten und diesen anzuhalten, solches Fleisch zum Verkauf anzubieten. Hiergegen hat die Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren neben Ausführungen zur Beschränkung des Paketversands hinsichtlich verderblicher Lebensmittel eingewandt, dass dem Anstaltskaufmann hinsichtlich seiner Produktpalette vertraglich keine Vorgaben gemacht werden könnten und auch im Übrigen keine Einwirkungsmöglichkeit bestehe. Es bestünde allein ein Vertrag, dass der Anstaltskaufmann die Anstalt exklusiv beliefern dürfe. Die angebotenen Produkte würden in Absprache mit dem Anstaltskaufmann, der Anstalt und den insofern regelmäßig beteiligten Untergebrachten bzw. anderen Insassen ausgewählt. Nach Auskunft des Anstaltskaufmanns werde Halal-Frischfleisch nicht in die Produktpalette aufgenommen, da die Mindestbestellmengen der Zulieferer nicht erfüllt werden könnten. Im Übrigen könne der Antragsteller zudem im Rahmen der mindestens viermal jährlich gewährten Ausführungen Lebensmittel erwerben.

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit Beschluss vom 27.06.2019 als unbegründet zurückgewiesen, wobei sie das Antragsbegehren so ausgelegt hat, dass der Betroffene den Erwerb von Halal-Frischfleisch sowie von türkischen Spezialitäten unabhängig davon begehre, ob er diese Produkte über den Anstaltskaufmann oder per Paketversand erhält.

Zur Begründung hat die Strafvollstreckungskammer hinsichtlich des Erwerbs von Halal-Frischfleisch ausgeführt, dass die Frage, ob der Betroffene dieses Fleisch auch außerhalb von Einkäufen anlässlich von Ausführungen erwerben kann, hier maßgeblich nach den Regelungen des § 17 Abs. 1 S. 4 SVVollzG NRW, nach dem in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten insbesondere ermöglicht wird, Speisevorschriften ihrer Religionsgemeinschaft zu befolgen, und des sich au...

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