Leitsatz (amtlich)
1. Das vereinfachte Verfahren ist unzulässig, wenn die Angaben in dem Antrag nicht der Wahrheit entsprechen und der wahre Sachverhalt die Festsetzung von Unterhalt im vereinfachten Verfahren nicht rechtfertigt.
2. Dem steht nicht entgegen, dass dieser Einwand erst im Beschwerdeverfahren erhoben worden ist, da die Beschwerde auf neue Tatsachen gestützt werden kann.
Normenkette
FamFG § 65 Abs. 3, §§ 249, 250 Abs. 1 Nr. 12
Verfahrensgang
AG Siegen (Aktenzeichen 15 FH 72/21) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der am 02.02.2022 erlassene Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Siegen, Az. 15 FH 72/21, aufgehoben.
Die Anträge der Antragstellerin zu 1.) und der Antragstellerin zu 2.) auf Festsetzung von Unterhalt im vereinfachten Verfahren werden zurückgewiesen.
Die Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.794,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Mit seiner Beschwerde wendet sich der Antragsgegner gegen ein im vereinfachten Verfahren ergangenen Festsetzungsbeschluss auf Zahlung von Kindesunterhalt.
Der Antragsgegner ist der Vater des am 00.00.2014 geborenen Kindes A und des am 00.00.2018 geborenen Kindes B . Beide Kinder leben bei der Kindesmutter. Jeweils mit Antrag vom 22.11.2021 hat das Jugendamt der Universitätsstadt C als Beistand der vorgenannten Kinder im vereinfachten Verfahren die Festsetzung von Mindestkindesunterhalt ab dem 01.06.2021 beantragt. Das Antragsformular enthält u.a. folgende Angaben:
"Das Kind lebt mit dem auf Unterhaltsleistung in Anspruch genommenen Elternteil nicht in einem Haushalt und hat für Zeiträume, für die der Unterhalt festgesetzt werden soll, weder Leistungen nach dem Zweiten, Achten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch oder dem Unterhaltsvorschussgesetz noch Unterhalt von einer verwandten oder dritten Person im Sinne des § 1607 Abs. 2 oder 3 BGB erhalten. Soweit solche Leistungen erbracht worden sind, sind gesetzlich übergegangene Ansprüche auf das Kind treuhänderisch rückübertragen."
Nachdem der Antragsgegner nach Zustellung der Antragsschrift am 14.12.2021 keine Einwendungen erhoben hatte, hat das Amtsgerichts - Familiengericht - Siegen mit am 02.02.2022 erlassenem Unterhaltsfestsetzungsbeschluss für die Kinder B und A den rückständigen und den zu zahlenden laufenden Unterhalt festgesetzt. Dieser Beschluss ist dem Antragsgegner am 05.02.2022 zugestellt worden.
Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten, eingegangen am 04.03.2022, hat der Antragsgegner "sofortige Beschwerde" gegen den Unterhaltsfestsetzungsbeschluss eingelegt. Zur Begründung hat er geltend gemacht, nicht leistungsfähig zu sein. Auch seien die Voraussetzungen des § 1613 BGB nicht dargelegt. Der Antragsgegner hat ferner die fehlende Aktivlegitimation gerügt. Sowohl das Jobcenter des Kreises D als auch die UVG-Stelle würden ihm gegenüber Unterhaltsansprüche geltend machen; dies auch für den im vorliegenden Verfahren streitbefangenen Zeitraum. Mit Schreiben vom 29.04.2022 hat das Landesamt für Finanzen Nordrhein-Westfalen gegenüber dem Familiengericht mitgeteilt, dass für die Kinder B und A seit dem 01.03.2021 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) gewährt werden.
II. Die nach §§ 58 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 11 Abs. 1 RPflG, 63 Abs. 1, 64 FamFG zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg, da der Antragsgegner begründete Einwendungen gegen die Zulässigkeit des vereinfachten Verfahrens erhoben hat, § 252 Abs. 1 S. 1, 2 FamFG.
1. Zulässigkeitsvoraussetzung für die Geltendmachung von Unterhalt im vereinfachten Verfahren ist nach § 250 Abs. 1 Nr. 12 FamFG u.a., dass der Antragsteller in seinem Antrag erklärt, dass Unterhalt nicht für die Zeiträume verlangt wird, für die das Kind Hilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, Sozialgeld nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, Hilfe zur Erziehung oder Eingliederungshilfen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch, Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz oder Unterhalt nach § 1607 Abs. 2 oder 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches erhalten hat. Mit der Unterzeichnung des Antrages hat das Jugendamt als Beistand eine entsprechende Erklärung abgegeben. Tatsächlich werden - wie das Landesamt für Finanzen Nordrhein-Westfalen mitgeteilt hat - für beide Kinder seit dem 01.03.2021 UVG-Leistungen gewährt. Dies führt dazu, dass sich der Antragsgegner insoweit auf die Unzulässigkeit des vereinfachten Verfahrens berufen kann. Denn das vereinfachte Verfahren ist unzulässig, wenn die Angaben in dem Antrag - wie hier - nicht der Wahrheit entsprechen und der wahre Sachverhalt die Festsetzung von Unterhalt im vereinfachten Verfahren nicht rechtfertigt (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 28. Januar 2013 - 1 WF 590/ 12, juris Rn. 11; OLG Brandenburg, FamRZ 2002, 545; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 4. Februar 2013 - 18 WF 24/13 - juris Rn. 22; Bömelburg in: Prütting/Helms, FamFG, 5. Aufl. 2020, § 252 FamFG Rn. 10). Dem steht nicht entgegen, dass dieser ...