Leitsatz (amtlich)
Das Protokoll der Hauptverhandlung ist nicht unterschrieben im Sinn von § 271 Abs. 1 StPO, wenn sich die Unterschrift des Richters lediglich auf einer die Urteilsformel beinhaltenden Anlage befindet.
Tenor
Der Beschluss des Amtsgerichts Recklinghausen vom 16. August 2000 wird aufgehoben.
Gründe
I.
Der Betroffene ist durch Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 9. Juni 2000 wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 150, -- DM verurteil worden. Gegen dieses in Abwesenheit des Betroffenen verkündete, den Verteidigern am 5. Juli 2000 zugestellte, Urteil haben die Verteidiger mit Schriftsatz vom 10. Juli 2000, der am 11. Juli 2000 beim Amtsgericht eingegangen ist, Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt. Eine Begründung des Antrags erfolgte nicht. Das Amtsgericht hat daraufhin durch Beschluss vom 16. August 2000 den Zulassungsantrag als unzulässig verworfen, weil der Betroffene die Monatsfrist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gemäß § 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 345 Abs. 1 StPO nicht eingehalten hat. Dagegen richtet sich nunmehr der Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts Recklinghausen vom 16. August 2000 aufzuheben.
II.
Der gemäß §§ 80 Abs. 4 Satz 2 OWiG, 346 Abs. 2 StPO zulässige Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts hat auch in der Sache Erfolg. Das Amtsgericht durfte den Zulassungsantrag des Betroffenen nicht wegen fehlender Begründung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 345 Abs. 1 StPO als unzulässig verwerfen, weil die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde bzw. zur Anbringung der Rechtsbeschwerdebegründung (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 341 Abs. 1, 345 Abs. 1 StPO) mangels ordnungsgemäßer Zustellung noch nicht in Lauf gesetzt worden ist.
Gemäß §§ 79 Abs. 3 OWiG, 341 Abs. 1, 345 Abs. 1 StPO beginnt die einmonatige Frist zur Anbringung der Rechtsbeschwerdeanträge und ihrer Begründung (spätestens) mit Zustellung des angefochtenen Urteils. Die Zustellung darf jedoch nicht erfolgen, bevor nicht das Protokoll fertiggestellt ist (vgl. § 273 Abs. 4 StPO in Verbindung mit § 71 Abs. 1 OWiG). Die Zustellung vor der Fertigstellung ist unwirksam und setzt die von der Urteilszustellung abhängigen Fristen nicht in Lauf (vgl. BGHSt 27, 80 f). Zur Fertigstellung gehört, dass das Protokoll von dem Vorsitzenden und dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle unterschrieben ist (§ 271 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 71 Abs. 1 OWiG).
Das ist indes bisher nicht der Fall. Nach Aktenlage (Bl. 16 R d. A. ) ist die Sitzungsniederschrift vom 9. Juni 2000 nicht unterzeichnet. Ihr ist allerdings ein als "Anlage z. Protokoll v. 09. 06. 00" bezeichnetes Blatt beigefügt, das die Urteilsformel beinhaltet und vom amtierenden Richter unterschrieben ist. Da die Unterzeichnung von Protokollanlagen (nur) zweckmäßig, gesetzlich jedoch nicht vorgeschrieben ist (vgl. BGHR StPO § 273 Abs. 1 Protokollinhalt 2; OLG Düsseldorf MDR 1986, 166; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl. , § 271 Rn 13), genügt jedenfalls die Unterzeichnung dieser Anlage nicht dem Formerfordernis der insoweit eindeutigen Vorschrift des § 271 Abs. 1 StPO, die gemäß § 71 Abs. 1 OWiG auch für das Ordnungswidrigkeitenverfahren gilt (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Juni 1991 in 2 Ss OWi 577/91 und vom 15. November 2000 in 2 Ss OWi 1078/00). Hinzu kommt, dass der Urteilsverkündung nachfolgende wesentliche Förmlichkeiten wie die Erteilung der Rechtsmittelbelehrung (vgl. OLG Düsseldorf, NStE Nr. 3 zu § 274 StPO; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a. a. O. , § 273 Rn 7) von der Unterschrift unter die als Anlage beigefügte Urteilsformel nicht erfasst werden können.
Zu einem anderen Ergebnis vermag auch der Umstand nicht zu führen, dass sich der Amtsrichter bei der Fertigung des Protokolls des amtlichen Vordrucks OWi 16 bedient hat, der jedoch - wie dargelegt, mit dem Gesetz und der darauf aufbauenden Rechtsprechung zum Inhalt eines Protokolls nicht in Einklang stehen (so auch Beschluss des Senats vom 15. November 2000).
Nach der noch vorzunehmenden Fertigstellung des Protokolls ist das Urteil daher erneut zuzustellen, was auch von der Generalstaatsanwaltschaft für erforderlich gehalten wird.
Der Senat, der in der Besetzung mit nur einem Richter zu entscheiden hatte (vgl. Senat in ZAP EN-Nr. 31/2000 = NJW 2000, 451 = DAR 2000, 83 = MDR 2000, 226 = VRS 98, 221), weist ergänzend darauf hin, dass das Protokoll in der vorliegenden Form auch erhebliche inhaltliche Mängel aufweist, die der Wirksamkeit der Urteilszustellung allerdings nicht entgegenstehen (vgl. BayObLG NJW 1981, 1795). Nach § 273 Abs. 1 StPO muss das Protokoll u. a. die Urteilsformel enthalten. Es genügt deshalb nicht, dass im Protokoll insofern auf eine Anlage Bezug genommen wird (RGSt 58, 143; KK-Engelhardt, 4. Aufl. , § 273 Rn. 14). Auch das Fehlen des Fertigstellungsvermerks gemäß § 271 Abs. 1 S. 2 StPO stünde der faktischen F...