Verfahrensgang
LG Arnsberg (Entscheidung vom 20.10.1983; Aktenzeichen III StVK 559/10) |
Tenor
1.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
2.
Die durch Urteil des Landgerichts Münster vom 20. Oktober 1983
angeordnete Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung ist erledigt.
3.
Der Untergebrachte ist in dieser Sache sofort auf freien Fuß zu setzen, wobei die Anordnung der Entlassung der Vollstreckungsbehörde obliegt.
4.
Mit der Entlassung aus dem Vollzug tritt Führungsaufsicht ein.
5.
Die Dauer der Führungsaufsicht beträgt fünf Jahre.
6.
Der Verurteilte wird für die Dauer der Führungsaufsicht der Aufsicht und Leitung des für seinen jeweiligen Wohnort zuständigen hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt.
7.
Dem Verurteilten wird die Weisung erteilt, bis zum Nachweis eines festen Wohsitzes, mindestens jedoch für die ersten dreißig Tage nach seiner Entlassung, sich täglich persönlich bei der für seinen jeweiligen Aufenthaltsort zuständigen Polizeidienststelle zu melden.
8.
Die Belehrung über die Bedeutung der Führungsaufsicht und über die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Weisungen werden der Justizvollzugsanstalt X übertragen.
9.
Die Erteilung der weiteren Weisungen wird der Strafvollstreckungskammer übertragen.
10.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Landeskasse.
Gründe
I.
Das Landgericht Münster hat durch Urteil vom 20.10.1983 gegen den jetzt 52-jährigen Verurteilten wegen Vergewaltigung eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren verhängt. Zugleich hat es gegen den Betroffenen die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Diese wird seit dem 12.05.1988 und damit länger als zehn Jahre vollzogen. Der Untergebrachte hat im Hinblick auf die seit dem 10. Mai 2010 endgültige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.12.2009 (Az.: 19359/04) beantragt, die Unterbringung für erledigt zu erklären. Diesen Antrag hat die Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Sie hat sich nicht in der Lage gesehen, die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in das innerstaatliche Recht umzusetzen und sich im Wesentlichen auf entsprechende Beschlüsse der Oberlandesgerichte Koblenz, Celle und Stuttgart gestützt. Hiergegen wendet sich der Untergebrachte mit seiner sofortigen Beschwerde. Die Generalstaatsanwaltschaft hat Verwerfung des Rechtsmittels beantragt.
II.
Die sofortige Beschwerde hatte Erfolg. Die Unterbringung war gemäß § 67 d Abs. 1 StGB a.F. für erledigt zu erklären, da der Betroffene sich länger als zehn Jahre in der Sicherungsverwahrung befindet. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 6. Juli 2010 (4 Ws 157/10 OLG Hamm) zur Frage, welches Recht Anwendung findet, folgende Ausführungen gemacht:
"Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung war gemäß § 67 d Abs. 1 StGB in der seit 1975 bis 1998 geltenden Fassung für erledigt zu erklären. Diese Norm findet trotz der durch das Gesetz vom 26.01.1998 zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten, in Kraft getreten am 31.01.1998, erfolgten Änderung der Gesetzeslage Anwendung. Dies ergibt sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.12.2009 (Az.: 19359/04), nach der der im Jahre 1998 angeordnete rückwirkende Wegfall der 10-Jahres-Frist für die erste Sicherungsverwahrung menschenrechtswidrig ist. Diese Entscheidung ist seit dem 10. Mai 2010 endgültig. Danach verstößt die Vollstreckung über den 10-Jahres-Zeitpunkt, der bei dem Untergebrachten bereits seit fünf Jahren verstrichen ist, hinaus sowohl gegen Art. 5 EMRK als auch gegen Art. 7 EMRK. Denn zu dem Zeitpunkt, als der Untergebrachte zur Sicherungsverwahrung verurteilt wurde, galt noch die 10-Jahres-Frist. Durch den im Jahre 1998 angeordneten Wegfall wurde gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen, da nach der nachvollziehbaren Wertung des EGMR die Sicherungsverwahrung keine Maßregel, sondern eine "Strafe" im Sinne des Art. 7 EMRK darstellt (vgl. EGMR, Entscheidung vom 17.12.2009, beckRS 2010, 01692 Rn.122 ff).
Ferner beruht die weitere Vollziehung nicht mehr auf dem ursprünglichen Urteil des Landgerichts Duisburg, da dieses nur eine Sicherungsverwahrung für die Dauer von 10 Jahren angeordnet hatte, auch wenn dies sich nicht unmittelbar dem Tenor entnehmen lässt. Somit lässt sich die weitere Freiheitsentziehung nicht mehr auf eine Verurteilung "durch ein zuständiges Gericht" stützen, so dass sie nicht durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 a EMRK gerechtfertigt sein kann (EGMR aaORn 87 und 96).
Zwar wirkt die Entscheidung des EGMR unmittelbar nur zwischen dem Beschwerdeführer und der Bundesrepublik Deutschland; sie hat keine "erga omnes"-Wirkung für alle Untergebrachten, die sich nach Ablauf der 10-Jahres-Frist noch in der Unterbringung befinden. Dennoch müssen die Bundesrepublik und ihre staatlichen Organe - somit auch die Vollstreckungsgerichte - als verpflichtet angesehen werden zu verhindern, dass es in gleichgelagerten Fällen zu einer entsprechenden Verletzung des EMRK kom...