Entscheidungsstichwort (Thema)
Abweichung vom Verbund-Prinzip im Scheidungsverfahren nur im Ausnahmefall
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung ist – entgegen dem grundsätzlich geltenden Erfordernis eines Sachantrags – im Berufungsverfahren dann ausreichend, wenn in einer Scheidungssache ein Verstoß gegen die Verbundvorschriften gerügt wird.
2. Richtet sich die Berufung dagegen, dass die Ehe unter Verstoß gegen § 628 ZPO vor der Entscheidung über eine Folgesache geschieden worden ist, muss der Scheidungsantrag angefochten werden. Dies kann der die Entscheidung im Verbund erstrebende Ehegatte auch dann tun, wenn er sich nicht gegen die Scheidung als solche wehren will.
3. Eine „außergewöhnliche Verzögerung” i.S.v. § 628 S. 1 Nr. 4 ZPO ist regelmäßig ab einer Verfahrensdauer von zwei Jahren anzunehmen. Auch dann muss eine vorab vorgenommene Ehescheidung jedoch ausscheiden, wenn über die Folgesache demnächst entschieden werden kann.
4. Eine „unzumutbare Härte” i.S.v. § 628 S. 1 Nr. 4 ZPO ist nicht schon bei außergewöhnlicher Verzögerung anzunehmen, sondern – unter Anlegung eines strengen Maßstabs – nur bei Vorangigkeit der Interessen des Antragstellers an einer baldigen Scheidung (zu bejahen z.B. bei bevorstehender Geburt eines Kindes aus einer neuen Verbindung oder bei begrenzter Lebenserwartung des antragstellenden Ehegatten, der eine Wiederheirat beabsichtigt). Zugunsten des der Abtrennung widersprechenden Ehegatten ist insbesondere die wirtschaftliche Bedeutung der Folgesache zu berücksichtigen.
5. Eine Zurückverweisung an eine andere Familienabteilung des AG kommt nicht in Betracht, da eine dem § 563 Abs. 1 S. 2 ZPO entsprechende Regelung für das Berufungsverfahren nicht in § 538 Abs. 2 ZPO aufgenommen worden ist.
Normenkette
ZPO § 628 S. 1 Nr. 4
Verfahrensgang
AG Ahaus (Urteil vom 10.05.2006; Aktenzeichen 10 F 76/04) |
Tenor
Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des AG - FamG - Ahaus vom 10.5.2006 (10 F 76/04) aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung im Verbund mit den noch anhängigen Folgesachen sowie über die Kosten des Berufungsverfahrens an das AG - FamG - Ahaus zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden nicht erhoben.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 11.467 EUR festgesetzt.
Gründe
Mit Antragsschrift vom 9.2.2004 leitete der Antragsteller das vorliegende Scheidungsverfahren ein. Der Scheidungsantrag wurde der Antragsgegnerin am 20.3.2004 zugestellt. Die Antragsgegnerin kündigte zunächst am 24.3.2004 ihre Zustimmung zum Scheidungsantrag an und beantragte dann am 11.5.2004 ebenfalls die Scheidung. Diesen Antrag hat sie in der letzten mündlichen Verhandlung nicht gestellt.
Nachdem die letzte Auskunft in der Folgesache Versorgungsausgleich eingegangen war, wurde Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 16.3.2005 anberaumt. Mit Schriftsatz vom 1.3.2005 beantragte die Antragsgegnerin Terminsaufhebung, da eine außergerichtliche Vereinbarung zum nachehelichen Ehegattenunterhalt sowie zum Zugewinnausgleich angestrebt werde. Der dann auf den 8.6.2005 anberaumte Termin wurde wegen des Auskunftsantrags der Antragsgegnerin in der neu als Stufenklage anhangig gemachten Folgesache (Kindes- und) nachehelicher Ehegattenunterhalt vom 12.5.2005 aufgehoben. Mit Schriftsatz vom 24.10.2005 machte die Antragsgegnerin die Folgesache elterliche Sorge anhangig. Der auf den 30.11.2005 anberaumte Termin wurde wegen der neu als Stufenklage anhangig gemachten Folgesache Zugewinnausgleich sowie dem hilfsweise gestellten Leistungsantrag in der Folgesache nachehelicher Unterhalt vom 28.11.2005 und dem hilfsweise gestellten Antrag auf eidesstattliche Versicherung in der Folgesache nachehelicher Unterhalt aufgehoben. Mit Schriftsatz vom 10.3.2006 beantragte die Antragsgegnerin, erneut Auskunftserteilung in der Folgesache (Kindes- und) nachehelicher Ehegattenunterhalt. Mit Schriftsatz vom 26.4.2006 beantragte die Antragsgegnerin, in der Folgesache Hausrat festzustellen, dass der Hausrat zwischen den Parteien endgültig aufgeteilt worden ist und wechselseitig Hausratsteilungsansprüche nicht mehr bestehen.
Im Termin am 26.4.2006 wurde über die Ehesache und alle Folgesachen verhandelt.
Der Antragsteller hat u.a. beantragt, die Folgesachen nachehelicher Ehegattenunterhalt und Zugewinnausgleich abzutrennen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Abtrennungsantrag zurückzuweisen.
Durch Urteil vom 10.5.2006 hat das AG - FamG- Ahaus die Ehe der Parteien geschieden, der Antragsgegnerin die elterliche Sorge für das gemeinsame Kind der Parteien übertragen, den Versorgungsausgleich geregelt und die Verfahren betreffend den nachehelichen Ehegattenunterhalt und Zugewinnausgleich abgetrennt.
Zur Begründung der Abtrennung der Folgesachen nachehelicher Ehegattenunterhalt und Zugewinnausgleich hat das AG ausgeführt, dass die gleichzeitige Entscheidung über diese Folgesachen den Scheidungsausspruch außergewöhnlich verzögern würde und der Aufschub auch unte...