Leitsatz (amtlich)
Die zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht erforderliche fachmännische Baumkontrolle dient dem Schutz des Verkehrs vor Astbruch und Windwurf. Die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen ist nicht davon abhängig, dass ein bestimmtes Schadensbild eines Baumes, das Veranlassung zur genaueren Untersuchung gegeben hätte, für den Schaden eines Dritten (hier: Fahrzeugschaden durch Astabbruch) ursächlich geworden ist; die Haftung aus Verkehrssicherungspflichtverletzung ist vielmehr auch dann zu bejahen, wenn die konkrete Ursache des Astabbruches nicht festgestellt werden kann, das Bruchrisiko aber der fachmännischen Untersuchung deutlich geworden und deshalb zu beseitigen gewesen wäre.
Normenkette
BGB § 839; GG Art. 34; StrWG NW §§ 9, 9a
Verfahrensgang
LG Essen (Aktenzeichen 4 O 62/02) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird – unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels – das am 25.4.2002 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Essen abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.020,51 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.1.2002 zu zahlen.
Wegen des weiter gehenden Zinssatzes wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Am 2.7.2001 brach von einer im Stadtgebiet der Beklagten am Straßenrand stehenden Linde ein Ast ab und beschädigte die unter dem Baum stehende Taxe des Klägers. Zuvor hatten am 27.11.2000 Bedienstete der Beklagten bei einer Besichtigung dieses Baumes trockene Äste, einen Druckzwiesel und Stammschäden festgestellt, ohne dass eine weiter gehende Überprüfung für erforderlich gehalten wurde. Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte den Baum nur unzureichend untersucht hat und sie an dem Schadenfall ein Verschulden trifft. Das LG hat nach Zeugenvernehmung das Vorliegen von sichtbaren Krankheitsanzeichen des Baumes zum Zeitpunkt der Sichtkontrolle verneint und die Schadenersatzklage abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen. Der Senat ist nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der abweichenden Feststellung gelangt, dass der schadenverursachende Baum zum Zeitpunkt der letzten Sichtkontrolle äußere Anzeichen für Stabilitätsmängel aufwies und bei Durchführung einer eingehenden fachmännischen Untersuchung der Schaden vermieden worden wäre.
II. Die zulässige Berufung des Klägers ist – bis auf einen Teil des Zinsantrages – begründet.
Die Beklagte haftet dem Kläger gem. § 839 BGB i.V.m. §§ 9, 9a StrWG NW, Art. 34 GG auf Schadenersatz i.H.v. 2.020,51 Euro.
1. Nach gefestigter Rspr. hat der Verkehrssicherungspflichtige zur Abwehr der von Bäumen ausgehenden Gefahren die Maßnahmen zu treffen, die einerseits zum Schutz gegen Astbruch und Windwurf erforderlich, andererseits unter Berücksichtigung des umfangreichen Baumbestandes der öffentlichen Hand zumutbar sind. Dazu reicht im Regelfall eine in angemessenen Abständen vorgenommene äußere Sichtprüfung, bezogen auf die Gesundheit und Standsicherheit des Baumes, aus (OLG Hamm, Urt. v. 10.12.1996 – 9 U 128/96, OLGReport Hamm 1997, 67 = VersR 1997, 1148 m.w.N.). Diese Kontrollen sind regelmäßig mindestens zweimal jährlich – bei belaubtem und unbelaubtem Zustand der Bäume – vorzunehmen (OLG Hamm, Urt. v. 10.12.1996 – 9 U 128/96, OLGReport Hamm 1997, 67 [68]; OLG Düsseldorf v. 15.3.1990 – 18 U 228/89, VersR 1992, 467; OLG Celle 2000, 187 [188]). Eine eingehende fachmännische Untersuchung ist jedoch dann vorzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die der Erfahrung nach auf eine besondere Gefährdung hindeuten, etwa eine spärliche oder trockene Belaubung, dürre Äste, äußere Verletzungen, Wachstumsauffälligkeiten oder Pilzbefall (OLG Hamm, Urt. v. 10.12.1996 – 9 U 128/96, OLGReport Hamm 1997, 67 [68]; vgl. auch BGH VersR 1964, 334). Auch das Vorliegen eines „Druckzwiesels” (d.h. eines mehrstämmigen Baumstammes mit etwa gleichmäßigem Dickenwachstum der Stämme, bei dem der Druck der Teilstämme an sich gegeneinander gerichtet ist) stellt ein Stabilitätsrisiko dar, wenn die Teilstämme durch Äste quer zur Stammrichtung voneinander weg in erheblichem Maße auf Zug belastet werden; derartige durch die Hebelwirkung der Äste verursachte Zugbelastungen treten nämlich im Zwieselbereich besonders stark auf und können daher vor allem dort zu Rissen und Brüchen führen (Mattheck, Handbuch der Schadenskunde von Bäumen, 1993, S. 76; vgl. auch OLG Celle v. 27.9.2000 – 9 U 28/00, OLGReport Celle 2000, 339). Befinden sich in Höhe des Zwiesels alte Astungswunden (nach Kappung von Ästen), kann sich dort Fäulnis bilden, die in dem besonders stark unter Zug belasteten Bereich eine Bruchgefahr begründet.
2. Bei Anwendung dieser Grundsätze wären die mit der Sichtkontrolle beauftragten Bediensteten der Beklagten im Streitfall verpflichtet gewesen, eine eingehende fachmännische Untersuchung der schadenursächlichen Linde zu veranlassen. Nach dem vom S...