Leitsatz (amtlich)
Zur Vereinbarkeit der Nierenlebendspende mit § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 c) TPG.
Ein Verstoß gegen die formellen Aufklärungsanforderungen aus § 8 Abs. 2 Sätze 3-5 TPG führt nicht ohne Weiteres zur Unwirksamkeit der Einwilligung des Spenders in die Organlebendspende (Festhaltung OLG Hamm, Urt. v. 07.09.2016 - 3 U 6/16).
Der Einwand der hypothetischen Einwilligung ist auch im Bereich der Organlebendspende beachtlich (Festhaltung OLG Hamm, Urt. v. 07.09.2016 - 3 U 6/16).
Normenkette
TPG § 8
Verfahrensgang
LG Essen (Aktenzeichen 1 O 262/13) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 05.09.2016 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der am ........1964 geborene Kläger spendete seiner Ehefrau, der Zeugin Y, die damals dialysepflichtig war, am 19.08.2010 im Haus der Beklagten zu 5. eine Niere. Operateur des Klägers war der Beklagte zu 1. Die Beklagten zu 2. bis 4. waren als Nephrologen an der Behandlung des Klägers beteiligt. Der Kläger macht geltend, dass die Nierenspende kontraindiziert und aufgrund formeller und inhaltlicher Aufklärungsmängel rechtswidrig gewesen sei. Er behauptet, dass die Spende zu einer als krankhaft zu wertenden Herabsetzung der Nierenfunktion und - neben weiteren Folgen - zu chronischer Müdigkeit (Fatigue-Syndrom) geführt habe.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung materiellen Schadensersatzes i.H.v. 59.629,25 EUR (Verdienstausfall und Behandlungskosten), eines angemessenen Schmerzensgeldes (Vorstellung: 100.000 EUR), einer Erwerbsschadensrente i.H.v. 4.267,75 EUR monatlich seit dem 31.01.2014 und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten i.H.v. 9.829,40 EUR zu verurteilen. Ferner hat er die Feststellung der gesamtschuldnerischen Einstandspflicht der Beklagten für weitere materielle und immaterielle Schäden vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs begehrt.
Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und zur näheren Darstellung der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 05.09.2016 Bezug genommen, wobei zum unstreitigen Geschehensablauf Folgendes zu ergänzen bzw. zu korrigieren ist:
Am 19.02.2009 stellten sich der Kläger und seine Ehefrau erstmals im Haus der Beklagten zu 5. vor, um die Möglichkeit einer Nierenlebendspende zu erörtern. Vom 03. bis zum 06.03.2009 folgte ein stationärer Aufenthalt der Ehefrau des Klägers im S-Krankenhaus mit diversen vorbereitenden Untersuchungen. In der Folgezeit unterzog sie sich einer Hysterektomie, nachdem ein Gebärmutterhalskrebs diagnostiziert worden war. Im Oktober 2009 wurde sie wegen Nierenversagens dialysepflichtig. Nach anfänglicher Dialyse im S-Krankenhaus erfolgte ein Umstieg auf eine häusliche apparative Peritonealdialyse.
Am 01.02.2010 stellten sich der Kläger und seine Ehefrau erneut im Haus der Beklagten zu 5. vor. Hierbei wies der Kläger auf seine chronische Darmerkrankung Colitis ulcerosa hin. Er teilte mit, dass diese seit ca. fünf Jahren ohne nennenswerten Schub geblieben sei und mit "Salofalk" (Wirkstoff Mesalazin) behandelt werde.
Vom 22. bis zum 24.02.2010 fanden verschiedene Untersuchungen zur Spenderfähigkeit des Klägers im Haus der Beklagten zu 5. statt. Wegen der Ergebnisse wird auf die Anlagen zum Schriftsatz der Beklagten vom 19.06.2017 Bezug genommen (Bl. 1535 ff. der Akten, speziell Bl. 1566-1607). Die im Tatbestand des angefochtenen Urteils genannte glomeruläre Filtrationsrate (GFR) von 72 ml/min wurde am 19.02.2009 ermittelt, nicht 2010. Zu ergänzen ist noch, dass sich der Wert auf eine Körperoberfläche von 1,73 m* (Normwert) bezieht.
Am 24.02.2010 fand ein Gespräch des Klägers und seiner Ehefrau mit dem Beklagten zu 4. statt. Der Beklagte zu 4. empfahl dem damals 102 kg schweren Kläger eine Gewichtsreduktion vor einer etwaigen Nierenspende. Der Kläger erhielt den Bogen "Patienteninformation und Einverständniserklärung zur Lebendnierenspende" (Anl. K2 zur Klageschrift).
Ebenfalls am 24.02.2010 befanden sich der Kläger und seine Ehefrau zur "psychosomatischen Evaluation" im LVR-Klinikum Essen (im angefochtenen Urteil dargestellt als "Gespräche mit den Psychiatern der Beklagten zu 5)").
Am 13. und 14.07.2010 fanden die im Tatbestand des angefochtenen Urteils dargestellten Gespräche statt. Das Gewicht des Klägers war zu diesem Zeitpunkt auf 94 kg reduziert. Im Anschluss an das Aufklärungsgespräch vom 14.07.2010 unterschrieben der Kläger, der Beklagte zu 1. und der Beklagte zu 2. die o.g. "Patienteninformation und Einverständniserklärung zur Lebendnierenspende".
Am 13.07.2010 und am 17.08.2010, dem Tag der sta...