Verfahrensgang
LG Münster (Urteil vom 18.10.2021; Aktenzeichen 014 O 568/20) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 18. Oktober 2021 verkündete Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Berufungsinstanz.
Das angefochtene und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die beklagte Kraftfahrzeugherstellerin wegen der behaupteten Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Klägerin kaufte am 31. Mai 2016 von der Firma ... in ... einen VW Touran 1.6 TDI als Neuwagen zu einem Kaufpreis von 28.429,61 EUR. In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten entwickelter und hergestellter Dieselmotor vom Typ EA 288 verbaut. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hatte die EG-Typengenehmigung aufgrund der von der Beklagten eingereichten Unterlagen für die Schadstoffklasse Euro 6 in der 21. Kalenderwoche des Jahres 2016 am 26. Mai 2016 erteilt; am 17. August wurde der Wagen erstmals zugelassen (vgl. Zulassungsbescheinigung Teil I). Die Abgasreinigung erfolgt vorliegend über die Abgasrückführung (AGR) sowie über das Abgasnachbehandlungssystem eines SCR-Katalysators unter Verwendung von AdBlue. Unstreitig erfolgt die Abgasreinigung des Dieselmotors auch temperaturgesteuert (sog. Thermofenster).
Vor dem Kauf, im Oktober 2015, hatte die Beklagte das KBA über die in den Fahrzeugen mit EA 288-Motor zum Teil vorhandenen Fahrkurvenerkennungen informiert. Am 18. November 2015 verfasste die Beklagte nach Vereinbarung mit dem KBA eine sog. Applikationsrichtlinie für das weitere Vorgehen im Hinblick auf die Fahrkurvenerkennungen in den EA 288-Motoren im Feld, in Produktion und in Planung: Für die Fahrkurven im Motortyp EA 288 Euro 6 mit SCR-Katalysator entschied die Beklagte im Wesentlichen, dass für die Fahrzeuge, die bereits beim Verbraucher (im Feld) waren bzw. die noch bis zum nächsten Modellwechsel in der 22. Kalenderwoche des Jahres 2016 hergestellt und vertrieben werden sollten, die Fahrkurven zur Einhaltung der Emissions- und OBD-Grenzwerte nicht genutzt werden dürfen und durch Ausbedatung oder Software-Änderung entfernt werden müssen. Mit Modellwechsel in der 22. Kalenderwoche des Jahres 2016 sollte die fragliche Fahrkurve von vornherein nicht mehr verwendet werden. Auf den Teil der Applikationsrichtlinie für den EA 288 SCR (vgl. Anlage K5 und Bl. 219 ff. d.A.) wird Bezug genommen. Wegen der Einzelheiten der Funktionsweise der Fahrkurven bei Emissionssystemen mit SCR-Katalysator - auch im Hinblick auf die prüfstandsbezogenen Besonderheiten bei einigen Fahrzeugen bis zum Modelljahreswechsel im Jahr 2016 - wird auf die unstreitigen Ausführungen der Beklagten in den Schriftsätzen vom 07. Oktober 2021 (Bl. 288 ff. d.A., dort ab Seite 20 ff.) und vom 06. März 2022 (Bl. 113 ff. eA, dort ab Seite 19 ff.) verwiesen.
Einen verbindlichen behördlichen Rückruf für die bis zur 22. Kalenderwoche mit Fahrkurve produzierten oder bereits im Feld befindlichen Fahrzeuge zum Zweck der Entfernung der Fahrkurve ordnete das KBA nicht an; die Fahrkurven wurden im Rahmen von freiwilligen Servicemaßnahmen nach und nach bei den Verbrauchern entfernt.
Von einer solchen freiwilligen Servicemaßnahme war das streitgegenständliche Fahrzeug unstreitig nicht betroffen (vgl. Bl. 272 d.A.). Nach unbestrittenem Vortrag steht für das streitgegenständliche Fahrzeug ein Software-Update auch nicht zur Verfügung (vgl. Bl. 150 eA). Die Parteien streiten darüber, ob in dem Fahrzeug der Klägerin bei Herstellung eine Fahrkurvenerkennung programmiert wurde.
Ab November 2015 überprüfte das KBA eine Vielzahl von Fahrzeugen der Beklagten mit EA 288-Motor in verschiedener Ausgestaltung (Euro 5 und 6, mit und ohne Abgasnachbehandlungssystem, mit NSK- und SCR-Katalysator) auf das Vorhandensein von unzulässigen Abschalteinrichtungen hin. Ein behördlicher verbindlicher Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung wurde von KBA für einen EA 288-Motor bis heute nicht angeordnet, auch nicht für den Motor mit dem hier streitgegenständlichen Emissionskontrollsystem.
Mit vorgerichtlichem Anwaltsschreiben vom 27. Juli 2020 forderte die Klägerin die Beklagte erfolglos auf, Schadensersatzansprüche anzuerkennen, die ihr aus dem von ihm ungewollten Kauf des vorgenannten Fahrzeugs resultieren, weil in diesem Wagen unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut worden seien und sie sich arglistig getäuscht fühle.
Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung betrug der gefahrene Kilometerstand 133.136 km (Stand: 05. Juli 2022).
Die Klägerin hat erstinstanzlich die Meinung vertreten, die Beklagte hafte ihr wegen sittenwidriger Schädigung, weil die für die Schadstoffnorm Euro 6 einzuhaltenden Werte nur auf dem Prüfstand, nicht aber im realen Betrieb auf der Straße eingehalten würden. Insoweit lägen unzulässige Abschalteinrichtungen vor, denn die Beklagte habe nicht allein ein - für sich aber bereits ebenfalls unzulässiges - Thermofenste...