Leitsatz (amtlich)
Die Verletzung der sog. halben Vorfahrt führt i.d.R. zu einer Mithaftung des Vorfahrtberechtigten zu 25 %.
Normenkette
StVO § 8 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Bochum (Aktenzeichen 8 O 137/00) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels i.Ü. das am 23.8.2001 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des LG Bochum abgeändert.
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 2.572,03 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 1.12.1999 zu zahlen.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des ersten Rechtszuges tragen der Kläger 75 % und die Beklagten 25 %.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 21.10.1999 gegen 20 Uhr in R. im Kreuzungsbereich der Straßen l./N. ereignet hat. Es handelt sich um ein Wohngebiet, in welchem die Geschwindigkeit auf 30 km/h begrenzt ist. Es gilt an dieser Kreuzung die Regelung rechts vor links. Der Kläger beachtete die Vorfahrt des von rechts kommenden Beklagten zu 1) nicht. Der Beklagte zu 1) fuhr dem Kläger in die rechte Seite seines Fahrzeuges.
In der Berufungsinstanz macht der Kläger nur noch eine Quote von 25 % unter dem Gesichtspunkt der „halben Vorfahrt” geltend. Er behauptet, der Beklagte zu 1) sei in der konkreten Situation zu schnell gefahren.
Die Berufung ist im Wesentlichen begründet. Der Kläger hat die Vorfahrt des Beklagten zu 1) verletzt und damit gegen § 8 Abs. 1 Nr. 1 StVO verstoßen. Dies ist unter den Parteien nicht im Streit.
Aber auch der Beklagte zu 1) hat den Unfall schuldhaft mitverursacht.
Ist die Vorfahrt an einer Kreuzung nicht besonders geregelt, so stellt sich für jeden Verkehrsteilnehmer, der sich dieser Kreuzung nähert, die Verkehrslage so dar, dass er zwar ggü. dem von links Kommenden vorfahrtberechtigt, ggü. Verkehrsteilnehmern von rechts aber wartepflichtig ist. Um deren Vorfahrt beachten zu können, muss er, wie § 8 Abs. 1 Nr. 1 StVO vorschreibt, mit mäßiger Geschwindigkeit an die Kreuzung heranfahren und sich darauf einstellen, dass er notfalls rechtzeitig anhalten kann, um die ihm ggü. Vorfahrtberechtigten durchfahren zu lassen. Diese mit „halber Vorfahrt” bezeichnete Situation (BGH VersR 1977, 917; v. 21.5.1985 – VI ZR 201/83, MDR 1985, 922 = NJW 1985, 2757; OLG Hamm NZV 2000, 124 = DAR 2000, 64) dient grundsätzlich auch dem Schutz des von links kommenden Wartepflichtigen. Denn es wird allgemein der Zweck verfolgt, Zusammenstöße an solchen gefährlichen und unübersichtlichen Straßenstellen zu verhindern. Allerdings muss sich der Vorfahrtsberechtigte nur dann langsam in den Kreuzungsbereich hineintasten, wenn er wegen der unübersichtlichen Örtlichkeit die kreuzende Straße nach rechts nicht rechtzeitig und weit genug einsehen kann. Eine solche Situation ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aber hier gegeben. Die Kollisionsgeschwindigkeit des Beklagten zu 1) betrug 31 bis 35 km/h. Er hat sich der Kreuzung mit einer Annäherungsgeschwindigkeit von mindestens 33 bis 37 km/h genähert. Das war in der konkreten Situation zu schnell, wie der Sachverständige im Einzelnen dargelegt hat. Die Sichtmöglichkeiten für den Beklagten zu 1) ließen eine solche Geschwindigkeit nicht zu. Um rechtzeitig vor der Fluchtlinie anhalten zu können, hätte der Beklagte zu 1) nur mit ca. 20 km/h fahren dürfen. Hätte er diese Geschwindigkeit eingehalten, wäre der Unfall nach den Darlegungen des Sachverständigen vermieden worden.
Die nach § 17 StVG vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge führt zu einer Haftung der Beklagten i.H.v. 25 %. Gegenüber der Vorfahrtsverletzung des Klägers, die einen schweren Verkehrsverstoß darstellt, ist das Verschulden des Beklagten zu 1) nicht besonders groß zu bewerten. Ihm fällt nur die Überschreitung der im konkreten Fall zulässigen Geschwindigkeit bei der Annäherung an die Kreuzung zur Last. Die Quotierung von 3/4 zu 1/4 orientiert sich dabei an der Entscheidung des BGH (VersR 1977, 917 [918]).
2. Der Gesamtschaden des Klägers beträgt 20.121,84 DM. Ausgehend von der Aufstellung in der Klageschrift ist lediglich die Unkostenpauschale zu kürzen. Diese beträgt nach Rechtsprechung des Senats, solange noch in DM abgerechnet wird, 40 DM. Nutzungsausfall steht dem Kläger für 12 Kalendertage zu. Der Kläger hat belegt, dass er am 5.11.1999 ein Ersatzfahrzeug zugelassen hat. Damit sind die geltend gemachten 12 Tage berechtigt.
Nach alledem steht dem Kläger 25 % von 20.121,84 DM zu, dass sind 5.030,46 DM = 2.572,03 Euro.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288, 284 BGB.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 10 ZPO. Für die Zulassung der Revision bestand gem. § 543 ZPO keine Veranlassung.
Brück Zumdick Mollenhauer
Fundstellen
Haufe-Index 1106162 |
DAR 2002, 508 |
NZV 2003, 377 |
OLGR Hamm 2002, 400 |
PVR 20... |