Verfahrensgang
LG Köln (Aktenzeichen 4 O 262/19) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 19.11.2021 - 4 O 262/19 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 2.146,70 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.04.2019 zu zahlen.
Die Beklagten werden weiter als Gesamtschuldner verurteilt, die Klägerin gegenüber dem Sachverständigen A, B-straße 13a, C, von einer Zahlung in Höhe von 150,91 EUR freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen die Klägerin in Höhe von 72 % und die Beklagten als Gesamtschuldner in Höhe von 28 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO).
II. Die formell unbedenkliche Berufung der Beklagten ist teilweise begründet.
1. Die Klägerin hat gegenüber den Beklagten einen Anspruch auf Ersatz des ihr bei dem Unfall entstandenen Schadens aus § 7 StVG, § 115 VVG, § 823 Abs. 1 und 2 BGB i.V.m. § 8 Abs. 1 StVO. Der Anspruch besteht auf der Grundlage einer Haftungsquote von 75 % zu Lasten der Beklagten und von 25 % zu Lasten der Klägerin in einer Gesamthöhe von 2.297,61 EUR, wobei 150,91 EUR hiervon auf den von der Klägerin geltend gemachten Freistellungsanspruch (Sachverständigenkosten) entfallen.
a) Der Verkehrsunfall vom 06.01.2019 erfolgte "bei dem Betrieb" beider Fahrzeuge i.S. von § 7 Abs. 1 StVG. Der Unfall erfolgte nicht aufgrund höherer Gewalt und stellte für keine der Parteien ein unabwendbares Ereignis dar (§ 17 Abs. 3 StVG). Ein solches liegt nur dann vor, wenn der Unfall zwar nicht absolut unvermeidbar war, aber sich selbst bei äußerster möglicher Sorgfalt nicht hätte abwenden lassen. Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt i.S. v. § 276 BGB hinaus (BGH Urteil v. 18.01.2005, VI ZR 155/04, Juris, Rn. 15; Scholten, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 17 StVG, Stand 01.12.2021, Rn. 16). Für den Beklagten zu 2. kommt eine Unabwendbarkeit offensichtlich nicht in Betracht, weil ihm ein klarer Verstoß gegen die Vorfahrtregelung zur Last fällt. Der Unfall war indes auch für die Klägerin nicht unabwendbar, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie bei Anwendung äußerst möglicher Sorgfalt das Fahrverhalten des Beklagten zu 2. noch rechtzeitig hätte erkennen und hierauf reagieren können.
b) Im Rahmen der sodann nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG durchzuführenden Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge kann nach den Ergebnissen der erstinstanzlichen Beweisaufnahme indes nicht von einer Alleinhaftung der Beklagtenseite ausgegangen werden. Im Einzelnen:
aa) Der Beklagte zu 2. hat zum Verkehrsunfall dadurch beigetragen, dass er gegen das Vorfahrtsrecht der Klägerin gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 StVO verstoßen hat ("rechts vor links"). Davon gehen auch die Beklagten aus, die ihre Haftung zu einem 2/3-Anteil akzeptieren.
bb) Anders als das Landgericht geht der Senat jedoch auch von einer Mitverantwortung der Klägerin aus.
Ist die Vorfahrt an einer Kreuzung nicht besonders geregelt, gilt für jeden sich dieser Kreuzung nähernden Verkehrsteilnehmer, dass er zwar gegenüber dem von links kommenden Verkehr vorfahrtberechtigt, jedoch gegenüber von rechts kommenden Verkehrsteilnehmern wartepflichtig ist. Um deren Vorfahrt beachten zu können, muss ein Verkehrsteilnehmer mit mäßiger Geschwindigkeit an die Kreuzung heranfahren und sich darauf einstellen, dass er notfalls rechtzeitig anhalten kann (vgl. § 8 Abs. 2 S. 1 StVO). Diese regelmäßig als "halbe Vorfahrt" beschriebene Verkehrssituation dient nicht nur dem Schutz eines von rechts kommenden Vorfahrtberechtigten, sondern dem Schutz aller Verkehrsteilnehmer, also auch dem eigentlich von links kommenden Wartepflichtigen (vgl. BGH Urteil v. 21.05.1985, VI ZR 201/83, NJW 1985, 2757; OLG Hamm Urteil v. 06.05.2002, 13 U 221/01, Juris; KG Beschluss v. 23.07.2009, 12 U 212/08, Juris; OLG Hamm Beschluss v. 01.10.2015, I-9 U 73/15, Juris; KG Urteil v. 21.09.2016, 29 U 54/15, Juris, mit Anm. Wenker in: jurisPR-VerkR 3/2017; OLG Hamm Beschluss v. 24.07.2018, 7 U 35/18, Juris, Rn. 41). Die im Rahmen einer "halben Vorfahrt" geltenden Sorgfaltsanforderungen sollen - dem Gebot des § 3 Abs. 1 S. 2 StVO folgend - im Interesse aller Verkehrsteilnehmer Unfälle an unübersichtlichen Kreuzungen, wo der Verkehr nicht durch Ampeln oder Schilder geregelt ist, verhindern (vgl. BGH Urteil v. 21.07.1977, VI ZR 97/76, BeckRS 1977, 30398098; OLG Hamm jeweils a.a.O.). Sofern danach der Vorfahrtberechtigte wegen der Unübersichtlichkeit der Örtlichkeit die kreuzende Straße nach rechts nicht rechtzeitig und weit genug einsehen kann, darf er sich nach den aufgezeigten Haftungsgrundsätzen nur langs...