Leitsatz (amtlich)
Das (einfach) behandlungsfehlerhafte Versäumnis, einen Neurologen zur Beurteilung der Bildgebung einer Computertomographie hinzuzuziehen, begründet einen fiktiven groben Behandlungsfehler, wenn ein massiver Hirnstamminfarkt unentdeckt bleibt, den hinzugezogener Neurologe erkennen musste, so dass ein Versäumnis seinerseits als grober Behandlungsfehler zu beurteilen wäre.
Normenkette
BGB §§ 278, 280, 611, 823
Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 06.06.2012; Aktenzeichen 1 O 127/09) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen - das am 6.6.2012 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des LG Essen abgeändert und wie folgt neu gefasst.
Die Beklagten zu 2) und 3) werden verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld i.H.v. 50.000 EUR sowie weitere 70 EUR Mehrbedarfsschaden zu zahlen, jeweils nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 4.9.2009. Ferner werden die Beklagten zu 2) u. 3) verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 2.830,18 EUR jeweils nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 4.9.2009 zu zahlen.
Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden wie folgt verteilt:
Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) trägt der Kläger.
Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) u. 3) tragen der Kläger 81 % und die Beklagten zu 2) u. 3) 19 %.
Von den Gerichtskosten sowie den außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen der Kläger 86 % und die Beklagten zu 2) u. 3) 14 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Den Parteien wird gestattet, die Vollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger macht als Sohn und Erbe seiner am... 1934 geborenen und am... 2006 verstorbenen Mutter V (im Folgenden: Patientin) Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten aufgrund einer fehlerhaften Behandlung im Zusammenhang mit einer bei der Patientin vorliegenden Herzerkrankung bzw. eines Hirnstamminsultes geltend.
Die Patientin wurde am 30. und 31.8.2002 erstmals im Krankenhaus der Beklagten zu 3) (St. F-Krankenhaus E, Klinik für allgemeine innere Medizin und Kardiologe; Chefarzt war der ehemalige Beklagte zu 1) Privatdozent Dr. F) wegen eines Verdachtes auf einen Hinterwandinfarkt, der sich nicht bestätigte, stationär behandelt. Vom 20.10.2003 bis zum 24.10.2003 wurde die Patientin im Marienhospital N wegen anhaltender Schwindelanfälle behandelt. Die zweite stationäre Behandlung im Hause der Beklagten zu 3) fand im Zeitraum vom 3.10.2004 bis zum 10.10.2004 wegen eines anfallsartigen Vorhofflimmerns statt. Erstmals wurde dort eine absolute Arrhythmie festgestellt und eine Elektrokardioversion durchgeführt. Nach einer einwöchigen Antikoagulation mit dem niedermolekularen Heparin Clexane wurde die Behandlung mit ASS 100 unter bewusstem Verzicht auf eine Marcumarisierung durchgeführt. Im Zeitraum vom 8.5.2005 bis zum 13.5.2005 fand die dritte stationäre Behandlung im Krankenhaus der Beklagten zu 3) (Chefarzt war nunmehr der Beklagte zu 2)) wegen rezividierendem Vorhofflimmern statt. Ein Herzinfarkt wurde ausgeschlossen und es wurde eine deutliche Gastritis und Refluxösophagitis festgestellt. Die Behandlung mit ASS 100 wurde fortgeführt sowie ferner ein Betablocker verordnet. Eine Kontrollgastroskopie in 14 Tagen wurde empfohlen und bei Besserung des Befundes ggf. eine Einleitung der Antikoagulation mit Marcumar. Im Zeitraum vom 27.10.2005 bis zum 4.11.2005 fand die 4. stationäre Behandlung im Krankenhaus der Beklagten zu 3) wegen erneutem Vorhofflimmerns statt. Erneut wurde eine absolute Arrhythmie festgestellt, wiederum eine Thrombozytenaggregationshemmerbehandlung mit ASS 100 durchgeführt sowie ferner ein Betablocker verordnet. Wegen einer erosiven Gastritis und Refluxösophagitis wurde bewusst auf eine Marcumarisierung verzichtet.
Am Mittag des 12.11.2005 fand der Kläger seine Mutter in deren Wohnung, die sich im gleichen Haus wie die Wohnung des Klägers befindet, mit einer linksseitigen Habseitenlähmung im Bett vor. Der Kläger alamierte sofort den Notdienst, der zeitnah in der Wohnung der Patientin erschien und sie in die Klinik der Beklagten zu 3) verbrachte. Kurz vor Eintreffen der Patientin im Krankenhaus verlor sie das Bewusstsein und erlitt nach Eintreffen in der Klinik im Schockraum einen Krampfanfall mit Aspiration. Daraufhin wurde seitens der Ärzte der Beklagten eine Intubation und Bronchoskopie durchgeführt und ferner zeitnah ein craniales natives CT ohne Kontrastmittelgabe. Ein solches CT wurde erneut am 13.11.2005 durchgeführt. Am 14., 15., 16. und 17.11.2005 fanden jeweils neurologische Konsile statt, bei dem sich das Bild eines Locked-In-Syndroms bei abgelaufener Basilaristhrombose ergab. Am 18.11.2005 wurde die Patientin in da...