Leitsatz (amtlich)
Ist eine in öffentliche Verwahrung genommene Sache, deren Wert umstritten ist, in Verlust geraten, obliegt es dem für die Verwahrung verantwortlichen, zum Ersatz verpflichteten Hoheitsträger, den Nachweis eines (geringeren) Wertes zu führen, wenn die (höhere) Wertangabe des Geschädigten plausibel ist.
Normenkette
BGB §§ 280, 839; GG Art. 34; StPO §§ 94, 111n
Verfahrensgang
LG Essen (Aktenzeichen 1 O 6/21) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 14.04.2022 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Essen teilweise abgeändert.
Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin 40,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.09.2021 sowie 93,42 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen.
Die weitergehende Klage bleibt abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen zu 98 % die Klägerin und zu 2 % das beklagte Land.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. (ohne Tatbestand gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO)
II. Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache nur in geringem Umfang Erfolg.
1. Der Klägerin steht für ihre beim Polizeipräsidium B in Verlust geratene Damenhandtasche gegen das beklagte Land ein Schadensersatzanspruch aus § 280 BGB in Verbindung mit einem öffentlichen-rechtlichen Verwahrungsverhältnis sowie aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG zu, der sich der Höhe nach aber nur auf den zuerkannten Betrag von 40,- EUR beläuft.
a) Indem die streitgegenständliche Damenhandtasche am 04.06.2019 von der Zeugin S. beim Polizeipräsidium B abgegeben und dort in Empfang genommen wurde, ist diese vom beklagten Land gemäß § 94 Abs. 1 StPO durch Inverwahrungnahme sichergestellt worden. Aufgrund des durch die Sicherstellung begründeten öffentlich-rechtlichen Verwahrungsverhältnisses oblag dem beklagten Land bzw. den für das Land tätig gewordenen Polizeibediensteten die (Amts-)Pflicht, die Damenhandtasche ordnungsgemäß aufzubewahren und vor Verschlechterung, Untergang und sonstiger Gefährdung zu bewahren (Köhler in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Auflage 2022, § 94 Rn. 23) sowie ihre eventuelle spätere Rückgabe an den Berechtigten sicherzustellen (OLG Frankfurt, Urteil vom 02.04.2007, 1 U 181/06 - Rz. 23 juris; OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 06.05.1999, 11 U 209/96 - Rz. 2 juris). Insoweit ist anerkannt, dass der Berechtigte bei einem schuldhaften Verstoß gegen diese Pflichten aus dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung Schadensersatz geltend machen kann (OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 06.05.1999, 11 U 209/96 - Rz. 2 juris m.w.Nw.). Aus dem gleichen Grunde kommt dann auch ein Anspruch des Berechtigten aus § 280 BGB in Verbindung mit dem öffentlich-rechtlichen Verwahrungsverhältnis in Betracht.
Dass das beklagte Land vorliegend seine vorgenannten (Amts-)Pflichten verletzt hat, ergibt sich schon daraus, dass die am 04.06.2019 in Verwahrung genommene Damenhandtasche aus nicht mehr aufklärbaren Gründen bei dem Polizeipräsidium B in Verlust geraten ist. Insoweit ist auch zumindest von einem fahrlässigen Handeln der für das beklagte Land tätig gewordenen Amtsträger auszugehen.
Dem beklagten Land oblagen die von ihm verletzten (Amts-)Pflichten auch gegenüber der Klägerin. Dass die Klägerin die Damenhandtasche vor ihrer Inverwahrungnahme in Erfüllung des mit der Zeugin S. geschlossenen Kaufvertrages an diese übereignet hatte und demgemäß nicht mehr Eigentümer derselben gewesen ist, steht dem nicht entgegen. Denn nach ihrem Sinn und Zweck obliegen die vorgenannten (Amts-)Pflichten den mit der Sicherstellung der Sache befassten Beamten gerade auch gegenüber den von der Sicherstellung betroffenen Personen (OLG Schleswig-Holstein, a.a.O. - Rz. 2 juris). Zu diesen gehört insbesondere die Person, an welche die sichergestellte Sache, wenn sie nicht mehr für Zwecke des Strafverfahrens benötigt wird, nach § 111n StPO herauszugeben ist. Vorliegend hätte zwar die Klägerin die Herausgabe der Tasche nicht nach § 111n Abs. 1 und 2 StPO an sich verlangen können, weil sie weder die letzte Gewahrsamsinhaberin der Damenhandtasche gewesen ist, noch ihr diese durch eine Straftat entzogen worden war. Die Klägerin hätte jedoch nach § 111n Abs. 3 StPO die Herausgabe der Tasche an sich verlangen können. Danach ist die sichergestellte Sache an einem Dritten herauszugeben, wenn bekannt ist, dass diesem ein Anspruch zusteht, der der Herausgabe der Sache nach § 111n Abs. 1 und 2 StPO entgegensteht. Vorliegend stand der Klägerin gegen die Zeugin S. ein schuldrechtlicher Anspruch aus § 346 Abs. 1 BGB auf Rückgewähr der Damenhandtasche zu, was dem beklagten Land auch aufgrund der E-Mail der Zeugin S. vom 21.02.2019, in der die Zeugin die zwischenzeitlich erfolgte Rückzahlung des Kaufpreises an sich bestätigt hatte, bekannt war. In Anerkennung dessen hatte auch die Staatsanwaltschaft J. mit Verfü...