Leitsatz (amtlich)

Ein Patient kann für die Schädigung seiner Hoden keinen Schadensersatz vom Krankenhausträger einer Klinik verlangen, in der er an der Leiste operiert wurde, nachdem die Leistenbruchrezidivoperation weder behandlungsfehlerhaft durchgeführt noch der Kläger unzureichend aufgeklärt worden ist. Allein aus dem Abschluss eines Zusatzvertrages über eine Chefarztbehandlung kann jedenfalls dann nicht grundsätzlich eine Beschränkung der Einwilligung auf eine Vornahme der Operation durch den Chefarzt selbst hergeleitet werden, wenn der Zusatzvertrag eine Vertreterregelung enthält.

 

Normenkette

BGB § 280 Abs. 1, §§ 611, 823

 

Verfahrensgang

LG Essen (Urteil vom 30.11.2011; Aktenzeichen 1 O 110/09)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 30.11.2011 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des LG Essen wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der 1965 geborene Kläger nimmt die Beklagte, die Trägerin des St. T-Krankenhaus I ist, wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung auf Schmerzensgeld und materiellen Schadensersatz in Anspruch.

Der Kläger ließ bereits in den Jahren 1995 und 1987 Operationen nach Leistenbrüchen linksseitig bei der Beklagten durchführen, 1997 wurde zugleich (zweizeitig) ein Leistenbruch rechtsseitig behandelt. Am 1.2.2007 stellte er sich aufgrund einer Krankenhauseinweisung seines Hausartztes, Dr. E, erneut in der chirurgischen Ambulanz im Sankt T-Hospital I wegen einer operativen Behandlung eines beidseitigen Leistenhernienrezidivs vor. Das Vorgespräch am 1.2.2007 führte der Zeuge Dr. P, der zum damaligen Zeitpunkt als Oberarzt in der Chirurgischen Abteilung des St. T-Krankenhauses tätig war. Gegenstand des Gesprächs war neben den Risiken insbesondere die Auswahl der operativen Vorgehensweise, wobei der Zeuge Dr. P dem Kläger eine Hernienreparation beidseits mit Netzeinlage in konventioneller Technik - sog. Operation nach Lichtenstein - empfahl und eine gleichzeitige Versorgung beider Leistenbrüche in einem Operationstermin (sog. einzeitige Operation). Als Operationstermin wurde der 13.2.2007 vereinbart und dem Kläger ein Aufklärungsbogen zur Mitnahme nach Hause ausgehändigt.

Zu diesem Zeitpunkt litt der Kläger bereits seit rund sechs Jahren an ausgeprägten Potenzstörungen. Entsprechende Therapieversuche - SKAT-Therapie, Viagra - waren erfolglos geblieben.

Am 9.2.2007 führte die Zeugin Dr. H mit dem Kläger ein Aufnahme- und Aufklärungsgespräch, wobei sie sich eines proCompliance-Aufklärungsbogen für eine Leisten- und Schenkelbruchoperation in minimal invasiver Technik bediente, da ein Aufklärungsbogen für die geplante Operation in konventioneller Technik an diesem Tage nicht zur Verfügung stand.

Der Kläger, der privat zusatzversichert war, wurde am 13.2.2007 stationär aufgenommen. Dabei wurden eine Chefarztwahl und weitere Wahlleistungen vereinbart. Am selben Tage wurde er durch den Zeugen Dr. P operiert. Der Chefarzt der chirurgischen Abteilung, Dr. I2, war an diesem Tage verhindert.

Postoperativ kam es zu einer Hämatombildung und zu einer Schwellung im Bereich des Skrotums, wobei der Zeitpunkt des Auftretens und der Umfang der Beschwerden zwischen den Beteiligten streitig ist. Im Kurvenblatt ist erstmalig am 17.2.2007 durch den Zeugen Dr. P eine "leichte Schwellung im Hodensack" vermerkt sowie für den Entlassungstag, Dienstag, 20.2.2007, ein "Skrotalfächerhämatom? Beschwerden!". Im Entlassungsbrief an den Hausarzt wurde ein induriertes Hämatom im Bereich beider Skrotalfächer ohne Beschwerden beschrieben.

Am Freitag, 23.2.2007, stellte sich der Kläger bei seinem Hausarzt, Dr. E, vor und gab Schmerzen "je nach Lage" im Skrotumbereich an. Bei der Untersuchung stellte Dr. E ein "ausgeprägtes Scrotalhämatom bds., sehr induriert" fest sowie eine Hodenschwellung, "mäßig druckdolent". Dr. E empfahl dem Kläger eine weitere Schonung und moderate Kühlung der Hoden, und - nach Rücksprache mit dem Urologen Dr. T, zu einem Abwarten. In den folgenden Tagen stellte sich eine leichte Besserung der Beschwerden ein, bei der Untersuchung am 2.3.2007 gab der Kläger aber weiterhin Beschwerden bei Druck, etwa beim Sitzen, an. Nach wie vor fand sich ein ausgeprägtes, allerdings etwas rückläufiges Hämatom im Bereich des Scrotums, die Hoden waren induriert.

Aufgrund der nur zögerlichen Besserung empfahl Dr. E dem Kläger schließlich am 16.3.2007 eine urologische Kontrolle. Anschließend erfolgten Vorstellungen des Klägers beim Urologen Dr. T sowie am 23.3.2007 in der Klinik für Urologie des Universitätsklinikums N. Dort wurde u.a. sonografisch eine Minderperfusion beider Hoden festgestellt. Zudem stellte sich der Kläger mehrfach in der Abteilung für Reproduktionsmedizin der Universität Münster vor; die Untersuchungen e...

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