Entscheidungsstichwort (Thema)
Tilgungshemmung bei Altfällen
Leitsatz (amtlich)
Nach dem 30.04.2014 im Fahreignungsregister erfolgende Eintragungen entfalten keine Tilgungshemmung für bis zum 30.04.2014 enthaltene Eintragungen.
Normenkette
StVG §§ 29, 65 Abs. 3 Nr. 2
Verfahrensgang
AG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 19.01.2016; Aktenzeichen 37 OWi 550 Js 30129/15) |
Tenor
- Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 19. Januar 2016 im Rechtsfolgenausspruch dahin abgeändert, dass der Betroffene zu einer Geldbuße von 150 EUR verurteilt wird.
- Die weitergehende Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird als unbegründet verworfen.
- Der Betroffene hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen. Jedoch werden die Rechtsbeschwerdegebühr um die Hälfte ermäßigt und die Hälfte der dem Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Freiburg hat den Betroffenen mit Urteil vom 19.01.2016 - 37 OWi 550 Js 30129/15 - wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 28 km/h zu einer Geldbuße von 200 EUR verurteilt.
Gegen dieses Urteil hat der Betroffene form- und fristgerecht Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt. Mit dem Antrag, in dem die Verwertung straßenverkehrsrechtlicher Vorahndungen gerügt wird, erstrebt er die Herabsetzung der Geldbuße auf 100 EUR.
Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat mit Schriftsatz vom 15.04.2016 auf Verwerfung des Antrages als unbegründet angetragen.
Der Einzelrichter ließ die Rechtsbeschwerde mit Beschluss vom 04.05.2016 zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) und übertrug die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern (§ 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 1 OWiG).
Die - wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte - Rechtsbeschwerde hat teilweise Erfolg.
II.
Die vom Amtsgericht zum Nachteil des Betroffenen aufgrund einer Auskunft aus dem Fahrerlaubnisregister vom 28.05.2015 verwerteten zwischen dem 12.07.2010 (rechtskräftig seit 09.11.2010) und dem 06.11.2013 (rechtskräftig seit dem 26.11.2013) ergangenen sechs Vorahndungen jeweils zu Geldbußen waren zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits getilgt; mithin unterlagen sie einem Verwertungsverbot (§ 29 Abs. 7 Satz 1 StVG). Für den zuletzt ergangenen Bußgeldbescheid vom 16.09.2014 (rechtskräftig seit 03.10.2014) über 70 EUR wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 22 km/h (Tatzeit 05.08.2014) gilt dies demgegenüber nicht.
1. Die bis zum 30.04.2014 ergangenen Bußgeldbescheide unterliegen hinsichtlich ihrer Tilgung der Vorschrift des § 29 StVG in der bis zum 30.04.2014 geltenden Fassung (§ 65 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 StVG). Danach beträgt die Tilgungsfrist zwei Jahre (§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVG a.F.); sie begann mit dem Tag der Rechtskraft (§ 29 Abs. 4 Nr. 3 StVG a.F.). Für alle Eintragungen gilt bis zur Höchstdauer von fünf Jahren (§ 29 Abs. 6 Satz 4 StVG a.F.) jeweils die Ablaufhemmung wegen der nachfolgenden Entscheidungen (§ 29 Abs. 6 Satz 1 StVG a.F.).
a) Angesichts dessen waren die Eintragungen betreffend die Bußgeldbescheide vom 12.07.2010 (rechtskräftig seit 09.11.2010) und vom 21.09.2010 (rechtskräftig seit 08.10.2010) ab dem 09.11.2015 bzw. 08.10.2015 wegen des Ablaufs von fünf Jahren am Tag der Entscheidung, dem 19.01.2016, bereits getilgt; sie unterlagen schon aus diesem Grund einem Verwertungsverbot.
b) Die anschließend ergangenen Bußgeldbescheide vom 05.01.2011 (rechtskräftig seit 25.01.2011), 23.05.2011 (rechtskräftig seit 10.06.2011), 19.10.2012 (rechtkräftig seit 07.11.2012) und 06.11.2013 (rechtskräftig seit 26.11.2013) durften ebenfalls nicht mehr zum Nachteil des Betroffenen verwertet werden. Lässt man den Bußgeldbescheid vom 16.09.2014 (rechtskräftig seit 03.10.2014) außer Betracht, unterlagen die Eintragungen betreffend die vier aufgeführten Entscheidungen angesichts der zweijährigen Tilgungsfrist ab dem 26.11.2015 der Tilgung.
Der Tilgung jener Eintragungen ("Altfälle") könnte mithin nur eine Ablaufhemmung durch den - eine nach dem 30.04.2014 begangene Tat ahndenden - Bußgeldbescheid vom 16.09.2014 (rechtskräftig seit 03.10.2014) entgegen stehen (ggf. §§ 65 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1, 29 Abs. 6 Satz 1 StVG a.F.). Soweit ersichtlich liegen zu dieser Rechtsfrage bislang noch keine obergerichtlichen Entscheidungen vor.
aa) Wenngleich die Fassung der Übergangsbestimmung in § 65 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 StVG beim ersten Anschein eine Ablaufhemmung bezüglich der Altfälle zu eröffnen scheint, ist der Senat im Wege der Auslegung und unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens gegenteiliger Ansicht.
Die ursprünglich vorgesehene neue Fassung des § 65 Abs. 3 Nr. 2 StVG enthielt keine Regelung zur Ablaufhemmung in Bezug auf die Altfälle (Artikel 1 Nr. 16 des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrs...