Entscheidungsstichwort (Thema)
Streupflicht zur Sicherung des Fußgängerverkehrs bei einer innerörtlichen Straße - Unwirksame Übertragung der Streupflicht in einer Gemeindesatzung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Gemeinde kann in einer Satzung Streupflichten nur insoweit auf Straßenanlieger übertragen, als sich diese Pflichten aus ihrer eigenen Verkehrssicherungspflicht ergeben. Hingegen kann die Gemeinde keine Streupflichten für Anlieger begründen, die über die Anforderungen der Verkehrssicherungspflicht hinausgehen.
2. Bei einer innerörtlichen Straße ohne Gehwege reicht es zum Schutz des Fußgängerverkehrs in der Regel aus, wenn bei Glätte im Winter auf einer Straßenseite ein Streifen von einem Meter bestreut wird. Es ist normalerweise nicht erforderlich, auf beiden Seiten der Straße einen Streifen für Fußgänger zu bestreuen.
3. Sieht eine Gemeindesatzung vor, dass bei innerörtlichen Straßen ohne Gehwege auf beiden Seiten bei Glätte jeweils ein Streifen für den Fußgängerverkehr von den Anliegern bestreut werden soll, geht dies in der Regel über den Umfang der Verkehrssicherungspflicht hinaus. Eine solche Regelung ist unwirksam; sie kann keine Streupflicht für die Anlieger begründen.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1; StrG BW § 41
Verfahrensgang
Tenor
Der Senat erwägt eine Zurückweisung der Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Konstanz vom 23.8.2013 gem. § 522 Abs. 2 ZPO. Die Parteien erhalten vor einer Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.
Gründe
I. Der Kläger macht aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau, H. H., Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen die Beklagten geltend. Die Beklagten sind jeweils hälftige Miteigentümer eines Wiesengrundstückes in A., welches mit einer Seite an den O. Weg grenzt. Bei dem O. Weg handelt es sich um einen öffentlichen Fahrweg, welcher innerhalb der geschlossenen Ortschaft der Gemeinde A. der Erschließung verschiedener Wohngrundstücke dient. Der O. Weg wird von den Anliegern mit Kraftfahrzeugen befahren, wenn diese ihre Wohngrundstücke erreichen wollen. In dem für den Rechtstreit maßgeblichen Bereich ist der O. Weg nicht asphaltiert, sondern lediglich geschottert, und weist eine geringe Breite auf, so dass er nur einspurig befahrbar ist. Es gibt dort keine Bürgersteige oder andere von der Fahrbahn abgetrennte Fußgängerwege. Die Bewohner der anliegenden Häuser einschließlich verschiedener Kinder auf ihrem Schulweg müssen die Fahrbahn des O. Weges benutzen, wenn sie von ihren Wohnungen den Ortskern von A. erreichen wollen.
Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen: Seine Ehefrau sei am 4.1.2009 gegen 12:00 Uhr um die Mittagszeit von einem Spaziergang in der Umgebung des Ortes A. zurückgekehrt. Um zu ihrer Wohnung in der Straße Im K. zu gelangen, sei es notwendig gewesen, auf dem Rückweg den O. Weg zu benutzen. In den Tagen vorher sei es sehr kalt gewesen. Der Weg sei völlig vereist gewesen, womit die Ehefrau des Klägers vorher nicht gerechnet habe. Sie habe sich vorsichtig bewegt, indem sie teilweise versucht habe, neben dem Fahrweg (Schnee im Grasgelände) zu gehen. Dennoch sei sie schließlich auf dem Eis ausgerutscht und gestürzt, wodurch sie sich erheblich verletzt habe. Der Sturz habe sich in Gehrichtung am rechten Rand des Fahrwegs ereignet, und zwar unmittelbar neben dem Wiesengrundstück der beiden Beklagten. Zu dem Sturz wäre es nicht gekommen, wenn ein gedachter Gehweg im rechten Teil der Fahrbahn mit abstumpfenden Mitteln gestreut gewesen wäre. Dazu seien die Beklagten als Eigentümer des rechts angrenzenden Wiesengrundstücks verpflichtet gewesen. Die Verkehrssicherungspflicht sei den Beklagten hinsichtlich der Beseitigung von Schnee- und Eisglätte durch die Satzung der Gemeinde A. vom 11.12.1989 (Anlage K 3) übertragen worden. Wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht seien die Beklagten der Ehefrau des Klägers zum Ersatz aller materiellen und immateriellen Schäden verpflichtet.
Die Beklagten haben den Sachvortrag des Klägers erstinstanzlich sowohl zum Grund als auch zur Höhe der geltend gemachten Ansprüche mit Nichtwissen bestritten. Außerdem haben die Beklagten verschiedene rechtliche Einwendungen erhoben.
Das LG hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Ehefrau des Klägers als Zeugin, und hat sodann mit Urteil vom 23.8.2013 die Klage abgewiesen. Zwar stehe nach der Beweisaufnahme fest, dass die Ehefrau des Klägers am 4.1.2009 entsprechend dem Vorbringen des Klägers an der fraglichen Stelle auf dem O. Weg gestürzt sei, und sich dadurch erhebliche Verletzungen zugezogen habe. Eine Haftung der Beklagten komme jedoch nicht in Betracht. Denn diese seien auch bei Glatteis nicht verpflichtet gewesen, einen Streifen am Rand des O. Wegs zur Benutzung für Fußgänger abzustreuen. Die Gemeinde A. habe zwar mit der Satzung vom 11.12.1989 die Streupflicht für den O. Weg auf die Anlieger des Fahrwegs übertragen. Daraus habe sich ...