Leitsatz (amtlich)
1. Prüft der Anwalt des ersten Rechtszugs, ob die ihm zugestellte Berufung der Gegenseite fristgerecht eingelegt wurde, so ist diese Prüfungstätigkeit mit den Gebühren der ersten Instanz abgegolten (§ 19 Abs. 1 RVG).
2. Abwicklungstätigkeiten i.S.v. § 19 Abs. 1 RVG, die der Sache nach auch als eine Tätigkeit des Anwalts im Berufungsverfahren angesehen werden könnten, werden durch die erstinstanzlichen Gebühren auch dann abgegolten, wenn der erstinstanzlich tätige Anwalt bereits mit der weiteren Vertretung des Mandanten im Berufungsverfahren beauftragt war.
Verfahrensgang
LG Mannheim (Beschluss vom 25.04.2006; Aktenzeichen 11 O 3/04) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Mannheim vom 25.4.2006 - 11 O 3/04 - aufgehoben. Der Kostenfestsetzungsantrag der Beklagten vom 8.7.2005 wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens der sofortigen Beschwerde trägt die Beklagte.
3. Der Beschwerdewert wird auf 694,38 EUR festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin hat im Verfahren des LG Mannheim - 11 O 3/04 - Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche geltend gemacht. Mit Urteil vom 12.4.2005 hat das LG Mannheim die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt, das Rechtsmittel jedoch mit einem weiteren Schriftsatz noch innerhalb der Berufungsbegründungsfrist wieder zurückgenommen. Mit Beschluss vom 30.6.2005 hat das OLG Karlsruhe - 7 U 93/05 - der Klägerin die durch die Berufung entstandenen Kosten auferlegt.
Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 8.7.2005 hat die Beklagte beantragt, die ihr im Berufungsverfahren entstandenen Anwaltskosten gegen die Klägerin festzusetzen. Sie hat eine 1,1-Gebühr ihres Anwalts gemäß RVG-VV Nr. 3201 i.H.v. 578,60 EUR netto geltend gemacht, sowie eine Postpauschale gemäß RVG-VV Nr. 7002, jeweils zzgl. Mehrwertsteuer. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 25.4.2006 hat der Rechtspfleger des LG Mannheim die von der Klägerin an die Beklagte für das Berufungsverfahren zu erstattenden Kosten - antragsgemäß - auf 694,38 EUR nebst Zinsen festgesetzt. Der Rechtspfleger ist bei dieser Entscheidung davon ausgegangen, dass der bereits erstinstanzlich für die Beklagte tätige Rechtsanwalt auch für die Durchführung des Berufungsverfahrens von seiner Partei bereits beauftragt worden sei. Der Rechtsanwalt sei zwar im Berufungsverfahren nicht für die Beklagte ggü. dem OLG Karlsruhe aufgetreten; er habe jedoch - vergütungspflichtige - Tätigkeiten entfaltet, welche über den Empfang und die Weiterleitung der Rechtsmittelschrift hinausgegangen seien.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin. Sie bestreitet, dass der erstinstanzlich für die Beklagte tätige Anwalt ein Mandat auch für das Berufungsverfahren erhalten habe. Der Rechtsanwalt habe ersichtlich auch keine Tätigkeiten entfaltet, die über den Empfang und die Weiterleitung der Berufungsschrift an die Partei hinausgegangen seien.
Die Beklagte tritt der sofortigen Beschwerde entgegen. Sie weist darauf hin, dass sie den erstinstanzlich für sie tätigen Anwalt in ständiger Praxis von vornherein sowohl für das erstinstanzliche Verfahren als auch - für den Fall einer Berufung der Gegenseite - mit der Wahrnehmung ihrer Interessen im Rechtsmittelverfahren beauftrage. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts habe sich auch nicht in der Weiterleitung der Rechtsmittelschrift erschöpft. Denn der Anwalt habe - darüber hinaus - bereits geprüft, ob die Berufung von der Klägerin rechtzeitig eingelegt worden sei und habe hierüber auch einen Vermerk für seine Handakte gefertigt. Diese Prüfungstätigkeit sei mit den erstinstanzlichen Gebühren des Anwalts nicht mit abgegolten.
Der Rechtspfleger des LG hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.
II. Die zulässige sofortige Beschwerde der Klägerin ist begründet. Der Beklagten steht ein Kostenerstattungsanspruch für das Berufungsverfahren nicht zu. Denn ihrem Rechtsanwalt sind im Berufungsverfahren keine Vergütungsansprüche entstanden.
1. Die Voraussetzungen einer 1,1-Gebühr gemäß RVG Nr. 3201 liegen - einen Auftrag der Beklagten für das Berufungsverfahren unterstellt (dazu s. unten 3.) - an sich vor. Der im Berufungsverfahren tätige Rechtsanwalt erhält eine Verfahrensgebühr für das "Betreiben des Geschäfts" (RVG-VV Vorbemerkung 3 Abs. 2). Für das Entstehen der ermäßigten Verfahrensgebühr gemäß RVG-VV Nr. 3201 ist ein Auftreten des Anwalts ggü. dem Gericht - anders als für die volle Verfahrensgebühr gemäß RVG-VV Nr. 3200 - nicht erforderlich; dies ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut zu RVG-VV Nr. 3201 Ziff. 1. Das "Betreiben des Geschäfts" kann sich beispielsweise auf eine Beratung des Mandanten oder auf die Beschaffung von Informationen beschränken. Bereits geringfügige Tätigkeiten des Anwalts, die in irgendeiner Weise der Durchführung des Verfahrens dienen, erfüllen die Voraussetzungen für eine Verfahrensgebühr (vgl. beispielsweise Hartmann, Kosteng...