Entscheidungsstichwort (Thema)
Beseitigung eines unterirdischen Technikraumes auf dem Nachbargrundstück, der gegen eine aus dem 19. Jahrhundert stammende Grunddienstbarkeit verstößt
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Grunddienstbarkeit mit der Verpflichtung, auf einem bestimmten Grundstück, "die Gebäulichkeiten nicht zu erweitern", ist grundsätzlich bestimmt genug. Maßgeblich für den Inhalt der Baubeschränkung ist der Gebäudebestand auf dem Grundstück zur Zeit der Begründung der Dienstbarkeit.
2. Der Begriff "Gebäulichkeiten" bezeichnete in Baden im 19. Jahrhundert nicht nur oberirdische Gebäude, sondern auch Keller und unterirdische Räume.
3. Eine Baubeschränkung auf einem Grundstück kann u.a. den Zweck haben, die Nutzungsmöglichkeiten des Grundstücks zu begrenzen, um mit der Nutzung verbundene mögliche Immissionen oder Belästigungen für den begünstigten Nachbarn gering zu halten. Es verstößt grundsätzlich nicht gegen Treu und Glauben, wenn der begünstigte Nachbar die Beseitigung eines gegen die Grunddienstbarkeit verstoßenden unterirdischen Technikraumes verlangt, da der (unzulässige) Technikraum die Nutzungsmöglichkeiten des übrigen (zulässigen) Gebäudes auf dem Grundstück verbessern und erweitern kann.
Normenkette
BGB § 1004 Abs. 1, §§ 1027, 242; EGBGB Art. 184, 189 Abs. 1; Badisches Landrecht Art. 690, 703
Verfahrensgang
LG Konstanz (Urteil vom 07.06.2011; Aktenzeichen 4 O 395/10 Me) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Konstanz vom 7.6.2011 - 4 O 395/10 M.E. - aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den an den Gewölbekeller auf dem Grundstück Flst.-Nr ... der Gemarkung Ü. angebauten zusätzlichen Kellerraum (ca. 3,95 m × 3,25 m groß, nordöstlich des auf dem Grundstück einschließlich Gewölbekeller befindlichen Gebäudes) zu beseitigen.
3. Der Antrag auf Androhung eines Zwangsgeldes wird zurückgewiesen.
4. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann eine Vollstreckung der Klägerin abwenden durch Sicherheitsleistung i.H.v. 20.000 EUR, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
6. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin macht Ansprüche aus einer im 19. Jahrhundert entstandenen Grunddienstbarkeit geltend. Sie ist Eigentümerin des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Flst.-Nr ... (L. gasse 8) in Ü.. Die Beklagte erwarb im Jahr 1997 das Nachbargrundstück Flst.-Nr ... (L. gasse 6). Zum Zeitpunkt des Erwerbs handelte es sich um ein Gartengrundstück, auf dem sich lediglich ein alter Gewölbekeller befand.
Im Grundbuch von Ü., Blatt-Nr ..., ist für das Grundstück der Beklagten in der zweiten Abteilung folgende Belastung eingetragen:
Der Eigentümer ist verpflichtet, die Gebäulichkeiten nicht zu erweitern. Eintrag im Grundbuch Band 9, Nr ... Seite ... vom 26.3.1857 und Band 23 Nr ... Seite ... vom 14.2.1882, umgeschrieben am 16.6.1995.
Im Grundbuch von Ü. Blatt-Nr ... befindet sich für das Grundstück der Klägerin im Bestandsverzeichnis folgende Eintragung:
Der Eigentümer vom Grundstück Flst.-Nr ... ist verpflichtet, die Gebäulichkeiten nicht zu erweitern; eingetragen im Grundbuch Band 30 Heft ... Ü. Abt. II Nr. 1.
Aus den Grundakten ergeben sich für die Grundstücke der Parteien u.a. folgende Grundbucheintragungen aus dem 19. Jahrhundert:
Band IX Seite ... Nr ... (Eintragung vom 26.3.1857):
"Dem Käufer J. B. (Rechtsvorgänger der Beklagten) wurden in § 6 der Bedingungen (Bezugnahme auf eine frühere Vereinbarung) gestattet, auf den an ihn eben verkauften 21 Ruthen 40 Fuß Garten eine Hütte oder Schopf zu bauen.
J. B. hat nun einen Schopf über fraglichem Keller erbaut, welcher jedoch über 126a auf unberechtigtem Platz gegen V. s Garten hier steht.
Wir sind nun dahin übereingekommen, dass J. B. V. (Rechtsvorgänger der Klägerin) gegen das Entstehen besagten Schopfes in seiner gegenwärtigen Größe nichts einwendet, dagegen tritt J. B. an J. B. V. l gegen Osten des letzten Garten anstoßend 126a Fuß von seinem Garten Mappe IX Nr. 218a/b, zu Eigentum ab gegen eine dem nachstehenden Eintrag besagte Vergütung an J. B..
Wir bitten nun, die hiernach durch J. B. erworbene Grundlast auf besagtem Schopf und Keller und dem Rest des Gartens desselben sowohl, als auf dem Garten des J. B. V., hier im Grundbuch eintragen zu wollen."
Band XXIII Seite ... Nr ...:
"Bestehende Bedingung: Der Garten unter Ziff. III. Nr. 2 (Grundstück der Beklagten) darf nach Eintrag im Grundbuch Band IX Seite ... Nr ... nicht weiter überbaut werden als der jetzige Bestand nachweist."
Die Beklagte beabsichtigte nach dem Erwerb des Grundstücks, über dem noch existierenden Gewölbekeller ein Wohnhaus zu errichten. In der Folgezeit gab es Auseinandersetzungen zwischen den Parteien, ob die Beklagte auf Grund der aus dem Grundbuch ersichtlichen Belastung ihres Grundstücks berechtigt war, dieses zu bebauen, und wenn ja, ggf. in welchem Umfang. In einem Vorprozess (LG Konstanz - 4 O 254/99 G) erging am 29.2.2000 ein Teil-Anerkenn...