Leitsatz (amtlich)

Nach dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit muss der in Beweisnot befindliche Kläger im Arzthaftungsprozess jedenfalls dann persönlich zu dem behaupteten Behandlungsfehler (hier: Hygienemangel bei einer intraartikulären Injektion) angehört werden, wenn das Gericht dem beklagten Arzt bei der Frage der Aufklärung eben diese Möglichkeit der Beweisführung eröffnet.

 

Verfahrensgang

LG Karlsruhe (Urteil vom 14.05.2009; Aktenzeichen 8 O 616/07)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des LG Karlsruhe vom 14.5.2009 - 8 O 616/07 - und das ihm zugrunde liegende Verfahren aufgehoben und die Sache - auch zur Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das LG Karlsruhe zurückverwiesen.

2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der am ... April 1986 geborene Kläger verlangt von dem Beklagten, einem niedergelassenen Orthopäden, Schmerzensgeld und Ersatz materieller Schäden wegen angeblicher Aufklärungs- und Behandlungsfehler bei mindestens einer am 1.4.2004 durchgeführten intraartikulären Injektion in sein - später mit Staphylokokken infiziertes - rechtes Kniegelenk.

Das LG, auf dessen Urteil wegen des Sach- und Streitstands im ersten Rechtszug Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, aufgrund der Anhörung des Beklagten stehe fest, dass dieser den Kläger über das Infektionsrisiko aufgeklärt habe. Dagegen sei der Kläger wegen der behaupteten Hygienemängel beweisfällig geblieben. Er habe auch weder die behauptete erste Injektion am 18.3.2004 bewiesen noch den ihm obliegenden Beweis dafür geführt, dass die Keime bei der Injektion am 1.4.2004 in sein Knie gelangt seien.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, der sein Klagebegehren in vollem Umfang weiterverfolgt und geltend macht, das LG sei aufgrund fehlerhafter Beweiswürdigung davon ausgegangen, dass der Beklagte bei der ersten Behandlung am 18.3.2004 keine intraartikuläre Injektion durchgeführt, sondern eine antiphlogistische Therapie verordnet habe. Es habe deshalb verkannt, dass auch die Injektion am 1.4.2004 nicht indiziert gewesen sei, weil ihr keine medikamentöse Behandlung vorausgegangen sei. Über diese Behandlungsalternative sei der Kläger auch nicht aufgeklärt worden. Eine Risikoaufklärung sei ebenfalls unterblieben. Zudem habe es wegen der Minderjährigkeit des Klägers der Einwilligung seiner gesetzlichen Vertreter bedurft. Bei der Frage der Kausalität habe das LG nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Hausarzt des Klägers bereits am 6. und 8.4.2004 ein entzündungshemmendes Medikament verordnet und deutliche Anzeichen für eine Infektion festgestellt habe. Deren Vorliegen habe deshalb nicht ohne die beantragte Vernehmung des nachbehandelnden Chirurgen Dr. B. verneint werden dürfen. Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Er weist insb. darauf hin, dass das am 14.4. entnommene Punktat einen sterilen Befund ergeben habe. Wegen des Weiteren Sach- und Streitstands im zweiten Rechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, wegen der Antragstellung auf die Sitzungsniederschrift vom 10.3.2010 (Bd. II AS 79).

II. Die zulässige Berufung führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

1. Das Verfahren im ersten Rechtszug leidet an wesentlichen Mängeln.

a) Das LG hat verfahrensfehlerhaft von der Vernehmung des Zeugen Dr. B. abgesehen.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 29.12.2008 beantragt, den nachbehandelnden Chirurgen Dr. B. als Zeugen "zu dessen Feststellungen" zu hören. Entgegen der in der Hinweisverfügung vom 29.1.2009 geäußerten Auffassung ist dieser Beweisantrag wirksam. Denn das genaue Beweisthema ergibt sich aus dem Kontext des Schriftsatzes. Dort wird gerügt, dass der Sachverständige Prof. Dr. R. die in der ergänzenden Stellungnahme vom 23.11.2008 geäußerte Annahme, der Zeuge habe bei der Untersuchung des Klägers am 8.4.2004 keinen klinischen Hinweis auf eine Infektion gesehen, allein auf den am gleichen Tag verfassten Arztbrief gestützt hat. Danach wird in das Wissen des Zeugen gestellt, dass dieser bei der Untersuchung des Klägers Anzeichen für eine Infektion festgestellt hat, welche in dem Arztbrief nicht ausdrücklich erwähnt sind.

Ohne diesem Beweisantritt nachzugehen, hat das LG festgestellt, es sei nicht erwiesen, dass bei der Injektion am 1.4.2004 Keime in das Knie des Klägers gelangt sind. Der Krankheitsverlauf spreche vielmehr dagegen. Denn nach dem Arztbrief des Zeugen habe am 8.4.2004 noch keine Infektion vorgelegen, obwohl die ersten Entzündungszeichen schon nach etwa drei Tagen hätten auftreten müssen. Diese Feststellung ist fehlerhaft. Sie entspricht zwar den Ausführungen des Sachverständigen. Dessen Gutachten beruht aber auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage. Denn zum einen ist der an den Hausarzt des Klägers gerichtete Arztbrief unergiebig, weil die klinischen Anzeichen einer Infektion, die der überweisende Haus...

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