Leitsatz (amtlich)
1. Die grundsätzliche Regelung des § 906 BGB, ob und in welchem Umfang ein Grundstückseigentümer Immissionen vom Nachargrundstück aus dulden muss, wird ergänzt und teilweise überlagert durch öffentlich-rechtliche Vorschriften zum nachbarrechtlichen Interessenausgleich.
2. In Ermangelung einheitlicher bundesrechtlicher Vorschriften für die Beurteilung von Geruchsimmissionen kann auf die – auf der Grundlage der vom Länderausschuss für Immissionsschutz (LAI) vorgelegten – Geruchsimmissions-Richtlinie vom 123. 01. 1993 (GIRL) abgestellt werden.
3. Die öffentlich-rechtliche Interessenbewertung kann freilich hier lediglich als Orientierungs- und Entscheidungshilfe dienen. Liegt daher die ermittelte Jahresbelastung unter dem Grenzwert der Richtlinie, so ergibt ich die Wesentlichkeit einer Geruchsbelästigung insbesondere aus ihrer ekelerregenden Wirkung.
Tatbestand
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Gründstücke mit Grenzbebauung in der Altstadt von Heidelberg. Die Klägerin betreibt auf ihrem Grundstück ein Hotel, der Beklagte unterhält auf seinem Grundstück einen Bäckereibetrieb mit Backstube. Nach dem Umbau der Backstube im Jahre 1997 rückte der Beklagte mit der Abluftanlage, die im Deckenbereich der Backstube die Raumluft absaugt und nach außen befördert, näher an das Hotelgebäude der Klägerin heran. Ursprünglich hielten die beiden zur Abluftbeförderung installierten Edelstahlrohre nur einen Abstand von 0,55 m zum Balkon im dritten Obergeschoss des Hotels ein. Im Verlaufe des Rechtsstreits, vor Ende Juni 1998, ließ der Beklagte die Entlüftungsrohre etwa 1,3 m weiter vom Balkon des Hotels wegsetzen und in der Höhe um 2,30 m über den Dachfirst hinaus nach oben verlängern.
Die Klägerin hält die aus der Entlüftungsanlage entströmenden Backstubengerüche für eine wesentliche Beeinträchtigung ihres Hotelbetriebes, weil die Abluft direkt auf ihr Gebäude geleitet werde. Sie hat beantragt, dem Beklagten zu untersagen, über die Abluftrohre Gase, Dämpfe und Gerüche aus der von ihm betriebenen Backstube ihrem Anwesen zuzuführen.
Der Beklagte ist der Auffassung, eine unzulässige Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks jedenfalls in der nunmehrigen Ausführung der Entlüftungsanlage liege nicht vor.
Das Landgericht hat den Beklagten auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens verurteilt, weil ihm nicht völlig untersagt werden könne, jegliche Gerüche gleich welcher Konzentration dem Grundstück der Klägerin zuzuführen. Die mitgeteilten Dünste seien aber wesentlich und nicht ortsüblich. Da sie durch zumutbare Maßnahmen verhindert werden könnten, seien sie auch zu verbieten.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache Erfolg.
1. Der von der Klägerin im Berufungsrechtszug neu eingeführte Unterlassungsantrag erfüllt die Bestimmtheitsvoraussetzungen des § 253 Abs. 2 Satz 2 ZPO, so dass die Klage Zulässigkeitsbedenken nicht begegnet. Denn es muss dem Störer überlassen bleiben, auf welchem Wege er die Eigentumsstörung abstellt. Deshalb sind Anträge mit dem Gebot, allgemeine Störungen bestimmter Art zu unterlassen, grundsätzlich zulässig. Das muss insbesondere für den hier vorliegenden Fall einer Geruchsbelästigung gelten, weil diese sich einer objektiven Quantifizierung und damit einer Messbarkeit entzieht. Objektive Grenz- oder Richtwerte lassen sich hier nicht aufstellen. Unter diesen Umständen können sich bei Geruchsbelästigungen sowohl der Klageantrag als auch die Verurteilung auf ein allgemeines, an dem Gesetzeswortlaut angelehntes Unterlassungsgebot beschränken, ungeachtet der damit im Vollstreckungsverfahren zu erwartenden Probleme (vgl. BGHZ 140, 1).
2. Für dieses Begehren fehlte es jedoch an einem Anspruchsgrund, insbesondere stand der Klägerin ein Abwehranspruch aus § 1004 i.V.m. § 906 BGB nicht zu.
Ein negatorischer Anspruch gegen die Geruchsimmissionen aus der Abluftanlage des Bäckereibetriebes scheidet aus, weil hiervon ausgehende Geruchsbelästigungen die Benutzung des klägerischen Hotelgrundstücks nicht wesentlich im Sinne des § 906 Abs. 1 BGB beeinträchtigen. Wesentliche Beeinträchtigungen sind nach dem Vortrag der Klägerin für die Vergangenheit nicht zu erkennen und für die Zukunft nicht zu erwarten.
a) Von einer unzulässigen Zuleitung der Abluft, wie sie ursprünglich nach Beendigung der Umbaumaßnahmen des Beklagten darin bestand, dass der Abluftkamin 55 cm vor einem Balkon des Hotelgebäudes der Klägerin endete, kann inzwischen nach der Versetzung und Verlängerung des Kaminrohres keine Rede mehr sein. Die nachbarrechtliche Zulässigkeit des baulichen Zustandes (vor der im Oktober 2000 – im Hinblick auf einen möglichen Vergleichsabschluss – erfolgten weiteren Erhöhung des Kamins) beurteilt sich allein auf der Grundlage des § 906 Abs. 1 BGB nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Dabei legt § 906 BGB grundsätzlich fest, ob und in welchem Umfang ein Grundstückseigentümer Immissionen aus der Nachbarschaft dulden muss. Die Regelung wird freilich ergänzt ...