Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsschließungsversicherung bei Schließung in Folge der Corona-Pandemie

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nehmen Versicherungsbedingungen einer Betriebsschließungsversicherung mehrfach auf das Infektionsschutzgesetz (IfSG) Bezug und bestimmen diese eine Entschädigungspflicht für eine Betriebsschließung "beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)", wobei der in dieser Nr. 2 enthaltene und abschließend zu verstehende Katalog mit den "folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger[n]", gegenüber dem Katalog in § 6 und § 7 IfSG eingeschränkt ist, so ist die den abschließenden Katalog enthaltende Klausel wegen Verstoß gegen das Transparenzgebot in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam.

2. Aufgrund der Unwirksamkeit der Klausel besteht Versicherungsschutz für eine bedingungsgemäße Betriebsschließung auch aufgrund des Auftretens von Krankheiten und Krankheitserregern, die von den Generalklauseln in § 6 und § 7 IfSG erfasst werden. Diese Generalklauseln schließen die Krankheit COVID-19 bzw. den Krankheitserreger SARS-CoV-2 mit ein.

3. Ob eine Betriebsschließung im Sinne der Versicherungsbedingungen vorliegt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Allein der Umstand, dass weiterhin in geringem Umfang eine geschäftliche Tätigkeit möglich war, schließt die Annahme eines Versicherungsfalles nicht aus, wenn sich die behördliche Anordnung im konkreten Fall faktisch wie eine Betriebsschließung ausgewirkt hat.

 

Normenkette

AVB BS 2002 § 1; BGB § 307 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Heidelberg (Urteil vom 08.12.2020; Aktenzeichen 2 O 156/20)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 08.12.2020, Az. 2 O 156/20 im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt teilweise abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 59.670,30 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.08.2020 zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit leistet in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.

5. Die Revision gegen dieses Urteil wird für die Beklagte zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin, die in der B.-Str. in Heidelberg ein Hotel mit angeschlossener Gaststätte betreibt, macht mit der Klage Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung geltend.

Die Parteien schlossen zum 01.01.2020 unter der Versicherungsscheinnummer F...-23 einen Versicherungsvertrag mit einer Versicherungssumme von 724.000 EUR und einem Jahresbeitrag in Höhe von 1.175,43 EUR, der unter anderem eine Betriebsschließungsversicherung beinhaltete. Vereinbart ist eine Versicherung für maximal 30 Tage einer Betriebsschließung, wobei je Tag auf Basis des Sachversicherungswertes eine Versicherungssumme von 1.989,01 EUR zu Grunde zu legen ist.

In den einbezogenen "Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden durch Betriebsschließung infolge Infektionskrankheiten aufgrund behördlicher Anordnungen nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung)" mit Stand 6/2015 (nachfolgend: ZB-BSV), heißt es auszugsweise:

"§ 1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren

1. Versicherungsumfang

Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - lfSG in der Fassung vom 20.07.2000) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)

a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt; [...].

2. Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger:

a) Krankheiten

  • Botulismus
  • Cholera
  • Diphtherie
  • akute Virushepatitis
  • enteropathisches hämolytisch-urämisches Syndrom(HUS)
  • virusbedingtes hämorrhagisches Fieber
  • Masern
  • Meningokokken-Meningitis oder -Sepsis
  • Milzbrand
  • Poliomyelitis (als Verdacht gilt jede akute schlaffe Lähmung, außer wenn traumatisch bedingt)
  • Pest
  • Tollwut
  • Tuberkulose
  • Typhus abdominalis / Paratyphus
  • mikrobiell bedingte Lebensmittelvergiftung
  • akute infektiöse Gastroenteritis
  • der Verdacht einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung
  • die Verletzung ...

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