Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenhaftung des erfolglosen Berufungsführers; Übertragungspflicht des Einzelrichters
Leitsatz (amtlich)
1. Die 1,6-fache Verfahrensgebühr nach 3200 RVG-VV ist dem Berufungsbeklagten auch dann zu erstatten, wenn sein anwaltlicher Sachvortrag erst nach einer gerichtlichen Ankündigung gem. § 522 Abs. 2 ZPO erfolgte (gegen OLG Schleswig 9 W 103/05).
2. Grundsätzliche Bedeutung i.S.v. §§ 568 Satz 2 Nr. 2, 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat eine Sache nicht schon deshalb, weil es eine abweichende gerichtliche Entscheidung gibt, die dem Einzelrichter jedoch unvertretbar erscheint.
Normenkette
RVG-VV Nr. 3200; ZPO §§ 91, 97, 522, 568, 574
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 21.08.2006; Aktenzeichen 4 HK.O 123/05) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den (auf insgesamt 1.117,60 EUR lautenden) Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Koblenz vom 21.8.2006 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Der Beschwerdewert beträgt 343 EUR.
Gründe
Gegen das Urteil des LG legte die Beklagte Berufung ein und begründete das Rechtsmittel mit Schriftsatz vom 20.2.2006.
Unter dem 8.3.2006 wies der Senatsvorsitzende darauf hin, dass beabsichtigt sei, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin hatten sich zuvor am 3.1.2006 im Berufungsverfahren bestellt. Nach dem Senatshinweis vom 8.3.2006 meldeten sie sich mit der Rüge, ein Teil des Berufungsvorbringens sei verspätet und daher nicht zu berücksichtigen.
Durch die nachfolgende Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO sind der Beklagten die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt worden. Die von der Klägerin angemeldete 1,6-fache Verfahrensgebühr nach 3200 RVG-VV hat die Rechtspflegerin antragsgemäß festgesetzt.
Mit ihrer sofortigen Beschwerde meint die Beklagte unter Hinweis auf die Entscheidung 9 W 103/05 des OLG Schleswig, für Sachausführungen habe angesichts der angekündigten Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO kein Anlass bestanden. Die Gebühr nach 3200 RVG-VV sei daher nicht zu erstatten.
Dem kann nicht gefolgt werden. Die gerichtliche Ankündigung nach § 522 Abs. 2 ZPO enthebt den Prozessbevollmächtigten des Rechtsmittelbeklagten nicht der Prüfung der Berufungsangriffe und der gerichtlichen Erwägungen in dem erteilten Hinweis. Denn dieser Hinweis kann unvollständig oder sonst ergänzungsbedürftig sein. Gegebenenfalls ist der Prozessbevollmächtigte des Rechtsmittelbeklagten gehalten, das Gericht auch auf die weiteren Gesichtspunkte hinzuweisen, aus denen ihm die Berufung sachlich unbegründet erscheint. Darüber hinaus kann die Berufungsbegründung neues entscheidungserhebliches Vorbringen enthalten, das zum Erfolg des Rechtsmittels führen kann, wenn es unstreitig bleibt. Das kann den Rechtsmittelbeklagten zu dem Hinweis zwingen, dass er das neue Vorbringen bestreitet.
Angesichts dieser Umstände kann der Senat dem OLG Schleswig nicht darin beipflichten, der Rechtsmittelbeklagte sei nach einem gerichtlichen Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO gehalten, untätig zu bleiben.
Die Erwägung des OLG Schleswig, den schützenswerten Belangen des Rechtsmittelbeklagten sei dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass das Gericht ihm zunächst rechtliches Gehör gewähren müsse, wenn es von der Ankündigung nach § 522 Abs. 2 ZPO wieder abrücke, überzeugt nicht. Anspruch auf rechtliches Gehör hat der an alsbaldiger Entscheidung interessierte Rechtsmittelbeklagte sofort. Ihm kann nicht verwehrt werden, die aus seiner Sicht maßgeblichen Umstände unverzüglich vorzutragen.
Da der erkennende Einzelrichter die Rechtslage für eindeutig und die Entscheidung des OLG Schleswig für unvertretbar hält, besteht auch kein Anlass, die Sache nach § 568 Satz 2 ZPO dem vollbesetzten Senat zu übertragen.
Dem OLG Koblenz (OLG Koblenz, Beschl. v. 11.5.2006 - 14 W 278/06, OLGReport Koblenz 2006, 792 = JurBüro 2006, 485) lag ein anderer Sachverhalt zugrunde. Denn dort hatte der Vorsitzende des Berufungsgerichts den Hinweis erteilt, dass die Berufung unzulässig sei (§ 522 Abs. 1 ZPO). Damit ist der vorliegende Sachverhalt nicht vergleichbar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
FamRZ 2007, 847 |
JurBüro 2007, 89 |
MDR 2007, 368 |
Rpfleger 2007, 115 |
AGS 2007, 482 |
AGS 2007, 590 |
OLGR-West 2007, 220 |
RVG-Letter 2006, 137 |