Leitsatz (amtlich)

Die Bewertung des Vorliegens eines Behandlungsfehlers richtet sich an einer ex ante-Betrachtung aus, weshalb nicht entscheidend ist, ob sich eine standardgerecht eingeleitete Therapie nur aufgrund nachträglicher Erkenntnisse als vergeblich oder zu lange weiterverfolgt darstellt.

Fehlt es an einer Verschleierung des Behandlungsverlaufs durch Lücken in der Dokumentation, können sich Unklarheiten also nicht zum Nachteil des Patienten auswirken, kann der Dokumentationsmangel im Ergebnis auch keine beweisrechtlichen Auswirkungen begründen.

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Urteil vom 10.11.2016; Aktenzeichen 1 O 439/14)

 

Tenor

1. Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Koblenz vom 10.11.2016 einstimmig gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

2. Der Kläger kann zu den Hinweisen des Senats bis zum 14.3.2017 Stellung nehmen. Die Rücknahme der Berufung wird empfohlen.

 

Gründe

I. Der Kläger verfolgt Ansprüche auf materiellen und immateriellen Schadensersatz wegen Verzögerung eines operativen Eingriffs.

Am 25.10.2011 wurde beim Kläger eine ambulante Varizenoperation durchgeführt. Daraufhin stellte sich eine Schwellung und Rötung der linken Wade mit Nekrosebildung der Haut und des Unterfettgewebes ein. Der Kläger suchte daher die von der Beklagten zu 1) getragene Klinik auf und wurde in der vom Beklagten zu 2) geleiteten chirurgischen Abteilung aufgenommen. Dort wurde nach Befundaufnahme eine konservative Behandlung eingeleitet. Am 13.11.2011 stellte der Beklagte zu 2) die Indikation für eine operative Behandlung, die zunächst für den 14.11.2011 geplant war. Wegen der nicht gewährleisteten postoperativen Überwachung des Klägers auf der Intensivstation sollte der Eingriff auf den Folgetag verschoben werden. Daraufhin verließ der Kläger das Krankenhaus und suchte eine andere Klinik auf, in der er am 15.11.2011 operativ versorgt wurde.

Der Kläger hat erstinstanzlich zur Begründung seines auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes in einer Mindesthöhe von 15.000 EUR, materiellen Schadensersatzes in Höhe von 2.318,80 EUR, die Feststellung der Einstandspflicht für weitere künftige materielle und immaterielle Schäden sowie die Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 989,21 EUR gerichteten Begehrens vorgetragen, die Beklagten seien dafür verantwortlich, dass er nicht früher operiert worden sei. Seine Beschwerden hätten sich während des Krankenhausaufenthaltes ständig verschlimmert, weshalb von vornherein eine Operation indiziert gewesen sei. Sein Beschwerdebild und die eingetretene Verschlechterung des Zustandes sei nicht dokumentiert worden. Eine widerstreitende Dokumentation sei unzutreffend. Bei früherer Operation wären die nach der anderweit erfolgten operativen Versorgung verbleibenden Beschwerden erheblich geringer gewesen.

Hinsichtlich des weiteren erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge der Parteien wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 173 ff. GA) verwiesen.

Das sachverständig beratene LG hat die Klage abgewiesen. Von einem Behandlungsfehler könne nicht ausgegangen werden. Die konservative Behandlung des Klägers sei aus medizinischer Sicht nicht zu beanstanden. Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen sei davon auszugehen, dass die Entscheidung zu Gunsten einer konservativen Behandlung nach der Aufnahme des Klägers in der chirurgischen Abteilung nicht zu beanstanden sei. Auch das anschließende Zuwarten bis zur Entscheidung zur Durchführung einer Operation sei aus medizinischer Sicht vertretbar. Insoweit habe der Sachverständige seine im schriftlichen Gutachten vorgenommene Bewertung in der mündlichen Anhörung korrigiert, nachdem er darauf hingewiesen worden sei, die medizinische Beurteilung an einer Betrachtung ex ante auszurichten. Hiervon ausgehend sei nicht bekannt gewesen, dass sich das nekrotisch betroffene Gebiet, das bereits am 2.11.2011 den später operierten Zustand erreicht hatte, nicht noch verändern würde. Daher sei es sinnvoll gewesen, die Konsolidierung der Wunde in der Tiefe abzuwarten. Die ausgebliebene (vorsorgliche) Verabreichung eines Antibiotikums sei folgenlos geblieben, da letztlich keine entsprechend zu versorgende Situation eingetreten sei. Auch habe die Versorgung in der Abteilung der Beklagten erfolgen dürfen, da es sich bei der Erkrankung des Klägers um ein chirurgisches Krankheitsbild gehandelt habe. Etwaige Dokumentationsversäumnisse seien nicht haftungsbegründend, da der Sachverständige den klinischen Verlauf gut habe nachvollziehen können. Insgesamt seien die vom Kläger behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen nach der späteren operativen Versorgung nicht auf das Handeln der Beklagten zurückzuführen, da es auch bei einem operativen Eingriff am 2.11.2011 zu diesen gekommen wäre. Im Übrigen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 176 ff. GA) Bezug genommen.

Hiergegen richtet sic...

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