Leitsatz (amtlich)
1. Lässt der Auftraggeber Nebenangebote zu, muss er mit Positiv- oder Negativkriterien den Rahmen abstecken, innerhalb dessen sich die Nebenangebote bewegen sollen.
2. Dafür ist nicht erforderlich, sich im Voraus auf jede denkbare Variante einzustellen oder gar für jede Position der Leistungsbeschreibung Mindestanforderungen aufzustellen.
3. Bei der Prüfung der Gleichwertigkeit einer Variante gilt nicht der Maßstab des § 9 Nr. 10 VOB/A 2006. Sinn und Zweck eines leistungsbezogenen Nebenangebots ist es, gerade eine Variante anzubieten, die von der Leistungsbeschreibung abweicht bzw. außerhalb des Spielraums liegt, der hinsichtlich des Hauptangebots durch den Zusatz "oder gleichwertig" eröffnet wird.
Normenkette
VOB/A 2006 § 9 Nr. 10, § 25 Nr. 5
Verfahrensgang
Vergabekammer Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 30.06.2010) |
Tenor
Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 30.6.2010 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.1. Die Beschwerdegegnerin beabsichtigt, Straßen- und Brückenbauarbeiten mit einem Auftragsvolumen von ca. 7 Mio. EUR zu vergeben. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis.
Nebenangebote sind zugelassen. Sie sollen die in den Plänen dargestellten Gestaltungsmerkmale im Wesentlichen einhalten und " u.a. auf Gleichwertigkeit mit dem Ausschreibungsentwurf hinsichtlich technischer, wirtschaftlicher und terminlicher Lösungen " geprüft werden. Hinreichende Mindestanforderungen, die die Bauleistungen betreffen, wurden den Interessenten ordnungsgemäß bekanntgegeben.
Zum Leistungsumfang gehören auch die Lieferung und der Einbau der Beleuchtungsanlage für eine vom Auftragnehmer zu bauende Brücke.
Dazu heißt es in der Leistungsbeschreibung u.a.:
"5.9.3
... Auf dem Brückenwerk sind Beleuchtungsmaste als verzinkte Stahlmaste einschließlich Leuchtkörper einzubauen."
Für die im Nachprüfungsverfahren streitigen Lampenausleger, die Verbindungselemente zwischen Mast und Leuchtkörper, enthält die Leistungsbeschreibung unter OZ 13.2.30 (Einfachausleger für den Fahrbahnrand) bzw. OZ 14.2.20 (Doppelausleger für die Fahrbahnmitte) neben technischen Details die Vorgabe:
"Form wie Fabrikat Sch., Typ FLO ... oder gleichwertig."
Dieses Leitprodukt - dessen Vorgabe niemand gerügt hatte - unterscheidet sich von herkömmlichen Auslegern durch seine " filigrane Formensprache " (Beschwerdeschrift S. 4) im Bereich des Übergangs zum Mast. Diese Form hat keine funktionale Bedeutung; sie ist, wie die Beschwerdeführerin vorträgt, ein "gestalterisches Element".
Hinsichtlich der Form des Auslegers enthalten die Mindestbedingungen für Nebenangebote keine Einschränkungen.
Die Beschwerdeführerin hat das niedrigste Hauptangebot abgegeben; die nächstplatzierten Bieter, darunter die Beigeladene, folgen mit knappem Abstand.
Die Beigeladene hat 5 Nebenangebote eingereicht, von denen die Auftraggeberin 4 für wertungsfähig hält. Das formal ordnungsgemäß eingereichte Nebenangebot 4 sieht statt der in der Leistungsbeschreibung umschriebenen "Design-Ausleger" sog. Normalausleger des Herstellers E. vor, die eine schlichte Form aufweisen und um insgesamt rund 12.000 EUR billiger sind. Schon die Berücksichtigung dieses Nebenangebots ließe die Beigeladene auf den ersten Platz vorrücken.
2. Nachdem die Auftraggeberin angekündigt hatte, die Beigeladene zu beauftragen, und eine Rüge erfolglos geblieben war, stellte die Beschwerdeführerin einen Nachprüfungsantrag, mit dem sie die Nebenangebote der Beigeladenen als nicht wertungsfähig qualifizierte.
Mit Beschluss vom 30.6.2010 hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen: Die Entscheidung des Auftraggeberin, den im Nebenangebot 4 vorgeschlagenen Normalausleger als gleichwertig anzusehen, bewege sich innerhalb ihres Beurteilungsspielraums und sei deshalb nicht zu beanstanden. Da die Beigelade allein durch die Wertung dieses Nebenangebots an die erste Stelle rücke und den Zuschlag erhalten müsse, komme es auf die Frage der Wertungsfähigkeit der anderen Nebenangebote nicht mehr an.
Hiergegen wendet sich die Antragsstellerin mit ihrer - mit einem Eilantrag nach § 118 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 GWB verbundenen - sofortigen Beschwerde. Sie ist der Auffassung, es läge eine Wettbewerbsverzerrung vor, wenn die Auftraggeberin als Leitfabrikat ein hochpreisiges Design-Produkt ausschreibe und dann eine wesentlich billigere Standardversion als gleichwertig akzeptiere. Außerdem sei der von der Beigeladenen angebotene Ausleger auch technisch nicht gleichwertig, weil er, anders als das Leitprodukt, nicht fertig lackiert (endbeschichtet) sei.
Die Auftraggeberin hat sich in der Sache bisher nicht geäußert, sondern lediglich mitgeteilt, sie widerspreche einer Verlängerung der aufschiebenden Wirkung nicht, da sie ohnehin nicht die Absicht habe, den Zuschlag vor Abschluss des Beschwerdeverfahrens zu erteilen.
Die Beigeladene hält die angefochtene Entscheidung für richtig und beantragt, den Eilantrag abzulehnen.
II....