Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine deliktische Haftung eines Krankenhausarztes für Versäumnisse seines Urlaubsvertreters
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Arzt muss im Allgemeinen nur über unmittelbare Operationsrisiken aufklären. Dass die Fehlreaktion auf eine eingriffsimmanente Komplikation (hier: Schädigung des Harnleiters) zu einer schwerwiegenderen Beeinträchtigung führen kann (hier: Verlust einer Niere) ist nicht von der ärztlichen Aufklärungspflicht umfasst.
2. Ist bei unklarer Befundlage die weitere Entwicklung zeitnah zu überwachen, muss der Patient über das Erfordernis der erneuten Überprüfung in einer Weise informiert werden, dass sich ihm die denkbaren Folgen einer versäumten Kontrolle erschließen.
3. Begibt ein Arzt sich unmittelbar nach Durchführung einer Operation in Urlaub, darf er grundsätzlich darauf vertrauen, dass sein sorgfältig ausgewählter und berufserfahrener Kollege derselben Fachrichtung den Patienten postoperativ sachgemäß betreut. Ohne konkreten Verdacht besteht auch keine Verpflichtung, die vom Urlaubsvertreter veranlassten Befunderhebungen und Diagnosen auf Plausibilität und Vollständigkeit zu überprüfen.
Normenkette
BGB §§ 276, 278, 823, 831
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 15.09.2006; Aktenzeichen 10 O 360/03) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des LG Koblenz vom 15.9.2006 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens treffen die Klägerin, die der Nebenintervention ihren Streithelfer.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte Sicherheit in entsprechender Höhe stellt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin war Patientin der gynäkologischen Praxis, die der Beklagte gemeinsam mit Dr. K. betrieb. Nachdem der Beklagte am 21.5.1999 ein Unterleibs-Karzinom diagnostiziert hatte, entfernte er am 4.6.1999 den Uterus. Dazu war die Klägerin im J-Krankenhaus in D. stationär aufgenommen worden.
Postoperativ klagte die Klägerin über linksseitige Oberbauchschmerzen. Deshalb veranlasste der Beklagte für den 8.6.1999 eine konsiliarische urologische Unter-suchung, die unter der Verantwortung von Dr. O., dem Streithelfer der Klägerin, erfolgte. Deren Befund war kritisch, so dass Dr. O. eine kurzfristige Kontrolluntersuchung anregte. Diese unterblieb jedoch, und die Klägerin wurde am 18.6.1999 aus dem Krankenhaus entlassen. Der Entlassungsbericht spricht von einer linksseitigen Oberbauch-Schmerzsymptomatik bei unauffälligen gynäkologischen und urologischen Befunden. Er trägt die Unterschrift Dr. Ks, der den Beklagten nach dessen Darstellung seit dem 8.6.1999 urlaubsbedingt vertrat.
An den Krankenhausaufenthalt der Klägerin schloss sich eine Kur an. Danach befand sich die Klägerin in der Obhut ihres Hausarztes. Ende September 1999 wurde sie bei dem Beklagten vorstellig und berichtete über Schmerzen. Der Beklagte vermutete Verwachsungen im Operationsgebiet. Diese Diagnose sah er durch eine eigene Laparoskopie vom 8.10.1999 bestätigt. Später erwog er als Ursache eine Ischialgie, ein Karzinom oder eine urologische Dysfunktion. Am 14.12.1999 kam es zu einer radiologischen Untersuchung, bei der sich eine Verengung des linken Harnleiters herausstellte. Nachdem der Versuch einer Ureter-Katheterisierung gescheitert war, wurde der Klägerin am 5.1.2000 im E.-Krankenhaus in N. ein neuer Harnleiter implantiert.
Im Verlauf des Jahres 2000 und Anfang 2001 litt die Klägerin wiederholt unter Schmerzen im Bauch- und Rückenbereich, über die sie den Beklagten und ihren Hausarzt unterrichtete. Eine radiologische Untersuchung, die schließlich am 23.2.2001 durchgeführt wurde, offenbarte linksseitig eine Schrumpfniere und außerdem zwei Zysten am rechten Eierstock. Es wurde notwendig, die Niere zu entfernen. Dies geschah am 11.4.2001 im E.-Krankenhaus in N..
Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Klägerin den Beklagten auf die Zahlung eines mit 31.000 EUR bezifferten Schmerzensgelds nebst Zinsen in Anspruch. Sie hat ihm vorgeworfen, bei der Operation vom 4.6.1999, die im Übrigen ohne hinreichende Aufklärung vorgenommen worden sei, den linken Harnleiter schuldhaft geschädigt und dadurch letztlich auch den Verlust ihrer Niere verursacht zu haben. Postoperativ habe er die urologische Problematik verkannt und so eine noch mögliche Abhilfe versäumt. In der Folge habe sie langfristig unter Schmerzen leiden und zwei vermeidbare Operationen über sich ergehen lassen müssen.
Das LG hat einen gynäkologischen und zwei urologische Sachverständige befragt und sodann die Klage abgewiesen. Es hat gemeint, dass die Operation vom 4.6.1999 lege artis durchgeführt worden sei und dass sich mit der Verengung des Harnleiters ein typisches Risiko verwirklicht habe. Postoperativ habe der Beklagte mit der Einberufung eines urologischen Konsils das Erforderliche getan. Dass in dessen Zuge dann keine endgültige Abklärung erfolgt sei, könne ihm ...