Verfahrensgang

LG Ellwangen (Entscheidung vom 28.10.1994)

 

Tenor

I. 1. Die Berufung des Beklagten gegen das am 16. August 1989 verkündete Teilurteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart wird zurückgewiesen.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 16. August 1989 verkündete Teilurteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart abgeändert und der Beklagte verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 30.000 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit 30.8.1988 zu bezahlen.

II. Der Beklagte trägt die Kosten der Berufung. Die Entscheidung über die Kosten im ersten Rechtszug bleibt dem Schlussurteil des Landgerichts vorbehalten.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Streitwert der Berufung und Beschwer des Beklagten: 30.000 DM.

 

Tatbestand

Von der Darstellung des Tatbestands wird abgesehen (§ 543 Abs. 1 ZPO).

 

Entscheidungsgründe

Die selbständigen Berufungen der Parteien sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat jedoch nur die Berufung der Klägerin Erfolg.

I. Zur Berufung des Beklagten:

Die Berufung des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht eine Haftung des Beklagten bejaht. Der Senat ist aufgrund der Beweisaufnahme überzeugt davon, dass der Beklagte die bei der Klägerin aufgetretene Harnleiterverengung schuldhaft behandlungsfehlerhaft verursacht hat.

Der Beklagte hat das Ligamentum infundibulopelvicum unterstochen, ohne sich zuvor über den Verlauf des Harnleiters zu vergewissern. Dies war behandlungsfehlerhaft und gereicht dem Beklagten zum Verschulden.

Bei der vom Beklagten durchgeführten Entfernung der Adnexe entsprach es 1984 dem medizinischen Standard, dass sich der Operateur vor einer Entfernung der Adnexe Kenntnis über Lage und Verlauf der Harnleiter im Operationsgebiet verschaffte. Im Grundsatz bestanden und bestehen dazu drei Möglichkeiten:

Zunächst kann der Ureter irritiert werden, um durch die dadurch ausgelöste typische Ureterperistaltik mit dem Auge oder mit Tastbefund den Verlauf des Harnleiters festzustellen. Diesen Weg hat der Beklagte nach seiner Behauptung (Bl. 194 d.A.) erfolglos beschritten, ohne dass der Operationsbericht (Bl. 16 d.A.) hierzu näheren Aufschluss geben würde.

Den Tastbefund mit dem typischen Ureter-Schnalzen, das bei Anspannen des (vermuteten) Ureters und Loslassen Gewissheit verschaffen konnte, hat der Beklagte nach seinem eigenen Vortrag nicht erhoben (vgl. Bl. 194 d.A.). Der. Beklagte hätte daher den Ureter im fraglichen Gebiet oder - wenn das etwa wegen endometriotischer Veränderungen nicht zweckmäßig erschien - etwas weiter oben und vom unteren Anschluss nach oben freilegen müssen. Vergebens wendet der Beklagte ein, ein Freipräparieren habe - gerade im Bereich endometriotischer Veränderungen - wegen der Gefahr einer Blutung oder einer Ureterläsion unterbleiben können. Im gegebenen Fall war zum einen die Endometriose eher lokal begrenzt als flächig vorhanden (vgl. Operationsbericht Bl. 17 d.A., so dass jedenfalls das Freilegen des Harnleiters am oberen und am unteren Ende möglich war. Zum anderen war die Darstellung des Ureters gerade auch deshalb erforderlich, weil der Ureter im Bereich des Ligamentum infundibulopelvicum besonders eng verläuft und hier endometriotisch bedingte Verbackungen möglich sind, wie der Sachverständige für den konkreten Sachverhalt überzeugend dargelegt hat (Sitzungsniederschrift vom 15.2.1990 S. 7 = Bl. 250 d.A.; vgl. auch die Ausführungen bei Beck-Ahnefeld [Intra- und postoperative Komplikationen in der Gynäkologie, 1979, S. 86], Kyank [Gynäkologische Operationen, 1986, S. 107, 15 ff.], Martius [Gynäkologische Operationen, 1980, S. 84, 93] und Alken [in: Petri, Gynäkologische Urologie, S. 39]).

Diesen ärztlichen Standard hat der Beklagte nicht eingehalten.

Der Beklagte ist ohne überzeugenden Grund vom ärztlichen Standard abgewichen, obwohl ihm dessen Einhaltung möglich gewesen wäre (§ 276 Abs. 1 Satz 2 BGB). Der Beklagte beruft sich nur darauf, das allgemeine Risiko einer Harnleiterverletzung bei Präparation habe ein Absehen von der Freilegung gestattet. Davon ist mit dem Sachverständigen jedoch gerade nicht auszugehen. Vielmehr erfordert die ärztliche Sorgfalt unter Berücksichtigung der Verletzungsgefahr die Präparation (vgl. Gutachten S. 10 = Bl. 137 d.A.; Sitzungsniederschrift vom 15.2.1990 S. 5, 7 = Bl. 248, 250 d.A.).

Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist jedoch nicht von einem groben Behandlungsfehler auszugehen.

Dass der Beklagte ohne objektivierbare Veranlassung vom medizinischen Standard abgewichen ist, ist nicht als grobe Pflichtwidrigkeit zu werten. Der Sachverständige weist zu Recht darauf hin, dass durch das Freilegen des Harnleiters die Verletzungsgefahr steigt und dies in einer Belegabteilung Schwierigkeiten verursachen kann. Das Risiko der Ureterverletzung lässt jedenfalls das Absehen von der Präparation als weniger gewichtigen Fehler erscheinen, ohne dass ein Übernahmeverschulden des Beklagten erkennbar wäre; der Beklagte...

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