Entscheidungsstichwort (Thema)
Verlust einer Niere durch gewaltsames Vorgehen bei Schwangerschaftsabbruch
Leitsatz (amtlich)
1. Spürt ein Arzt bei einem Schwangerschaftsabbruch in der 12. Schwangerschaftswoche einen derben Widerstand, muss er mit dem Durchstoßen der Gebärmutter rechnen und darf nicht unter Einsatz manueller Gewalt die Operation fortsetzen.
2. Der behandlungsfehlerhaft verursachte Verlust eines Harnleiters und einer Niere (neben weiteren Verletzungen) im Rahmen eines Schwangerschaftsabbruchs rechtfertigt ein Schmerzensgeld von mindestens 25.000.- EUR.
Normenkette
BGB §§ 253, 280, 611, 823
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 18.06.2014; Aktenzeichen 25 O 374/12) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 18.6.2014 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des LG Köln - 25 O 374/12 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 45 % und die Beklagten zu 55 % als Gesamtschuldner.
Das angefochtene Urteil und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Gründe
I. Bei der am XX. XX. 1974 geborenen Klägerin lag eine Zwillingsschwangerschaft vor. Wegen des hochgradigen Verdachts der Fehlbildung eines Feten ließ sie am 6.7.2009 in der 11. + 4 Schwangerschaftswoche im Krankenhaus der Beklagten zu 1) einen operativen Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Die Entfernung des zweiten Embryos gestaltete sich schwierig. Es kam zu einer Perforation der Gebärmutter und zu einem Abriss des von der rechten Niere ausgehenden Harnleiters, der mit den Resten des zweiten Embryos mit der Abortfasszange herausgezogen wurde. Nach einem Übergang zur Laparoskopie und alsdann zur offenen Operation konnte der langstreckig entfernte Harnleiter von dem hinzugezogenen Urologen nicht sofort rekonstruiert werden. Er legte daher einen Nierenfistelkather ein. Wegen der weiteren Einzelheiten des Operationsverlaufs wird auf den Operationsbericht des Beklagten zu 2) verwiesen (Bl. 1 f. des SH I). Die Klägerin wurde am 14.7.2009 aus der stationären Behandlung entlassen. Am 19.10.2009 musste die rechte Niere im Universitätsklinikum F entfernt werden.
Die Klägerin hat die Beklagten auf ein Schmerzensgeld von mindestens 50.000 EUR, Feststellung der Ersatzpflicht und Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 1.761,08 EUR in Anspruch genommen. Sie hat ihnen vorgeworfen, dass sie angesichts der Schwierigkeiten bei der Entfernung des zweiten Embryos eine intraoperative Kontrolle durch eine Ultraschalluntersuchung hätten vornehmen müssen. Die Aufklärung sei nicht ausreichend gewesen, weil sie nicht über das Risiko des vollständigen Verlusts von Organen wie des Harnleiters und der Niere unterrichtet worden sei.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in erster Instanz und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen. Das LG hat ein gynäkologisches Gutachten von Prof. Dr. C (Bl. 128 ff. d.A.) eingeholt. In der mündlichen Verhandlung hat es den an der Operation beteiligten Urologen Dr. F2 als Zeugen vernommen und den Sachverständigen angehört (Bl. 237 ff. d.A.).
Daraufhin hat es die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 25.000 EUR verurteilt, die begehrte Feststellung ausgesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Da ein Festsitzen des Feten oder seines Köpfchens zu dem damals vorliegenden Schwangerschaftszeitpunkt nicht möglich gewesen sei, seien die im Operationsbericht dokumentierten "mehrfachen" ruckelnden Bewegungen und die hierin liegenden Anwendung einer gewissen manuellen Gewalt behandlungsfehlerhaft gewesen. Die ruckelnden Bewegungen hätten zwar nicht zur Perforation der Gebärmutter, aber, wie sich aus dem Operationsbericht ergebe, zum Abriss des Harnleiters und zu dessen Entfernung geführt. Für den Verlust des Harnleiters und den der rechten Niere sei ein Schmerzensgeld von 25.000 EUR angemessen.
Hiergegen wenden sich die Beklagten mit der Berufung, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiter verfolgen. Das LG habe sich nicht kritisch mit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. C auseinandergesetzt und die entgegen gesetzten Feststellungen von Prof. Dr. C2, der den Bescheid der Gutachterkommission vom 28.6.2010 verfasst habe, nicht gewürdigt. Das zuerkannte Schmerzensgeld sei deutlich übersetzt. Der Verlust der einen Niere habe nicht zu weiteren Beeinträchtigungen geführt, weil die andere Niere die volle Funktion übernehme. Im weiteren Verlauf des Lebens sei nicht mit einem erhöhten Morbiditätsrisiko zu rechnen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Mit ihrer unselbständigen Anschlussberufung begehrt sie über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus ein weiteres angemessenes Schmerzensgeld sowie die Erst...