Leitsatz (amtlich)

1. Erklärt der Schuldner im erstinstanzlichen Verfahren, dass er die Einrede der Verjährung "fallen lässt" und erhebt er sie in zweiter Instanz erneut, ist nach den allgemein geltenden Regeln der Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB festzustellen, ob mit dem "Fallenlassen" ein materiell-rechtlicher Verzicht auf die Einrede verbunden ist. In der Regel wird dem "Fallenlassen" die Bedeutung beizumessen sein, dass der Schuldner lediglich den prozessualen Zustand herstellen will, der vor Erhebung der Einrede bestand (vgl. BGH, Urteil vom 29.11.1956 -II ZR 121/55). Zur Feststellung eines materiell-rechtlichen Verzichts bedarf es konkreter Anhaltspunkte.

2. Die erneute Erhebung der Einrede der Verjährung in zweiter Instanz stellt ein neues Verteidigungsmittel dar, dessen Zulassung sich grundsätzlich nach § 531 Abs. 2 ZPO bestimmt. Sind die Erhebung der Verjährungseinrede und die den Verjährungseintritt begründenden tatsächlichen Umstände unstreitig, ist die Einrede ohne Weiteres zu berücksichtigen (Anschluss BGH, Beschluss vom 23.06.2008, GSZ 1/08; OLG Oldenburg, Urteil vom 02.03.2021, 12 U 161/20).

3. Der Käufer eines Gebrauchtfahrzeugs hat gegen den Hersteller des Fahrzeuges keinen Anspruch auf "Restschadensersatz" gemäß § 852 S. 1 BGB, da dieser auch dann nichts auf seine Kosten erlangt, wenn er ihn in vorsätzlicher sittenwidriger Weise schädigt. Denn eine Vermögensverschiebung im Verhältnis von Gebrauchtwagenkäufer und Hersteller findet nicht statt. Einen Vermögenszuwachs hat der Hersteller lediglich beim Verkauf des Fahrzeugs als Neuwagen (Anknüpfung an: BGH, Urteil vom 14.02.1978, X ZR 19/76 - juris, Rn. 62 f.; OLG Stuttgart, Urteil vom 02.02.2021, 10 U 229/20 - juris, Rn. 63; OLG Karlsruhe, Urteil vom 31.03.2021, 13 U 693/20 - BeckRS 2021, 6366 Rn. 36).

 

Normenkette

BGB §§ 195, 199, 826, 852

 

Verfahrensgang

LG Trier (Aktenzeichen 5 O 228/20)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 5. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Trier vom 08.01.2021, Az. 5 O 228/20 teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz, die Beklagte diejenigen des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht jene vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

5. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 9.055,22 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Der Kläger begehrt von der Beklagten mit seiner am 21.08.2020 beim Landgericht eingereichten und der Beklagten am 09.09.2020 zugestellten Klage Zahlung von Schadensersatz im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal wegen des Erwerbs eines betroffenen Gebrauchtfahrzeugs.

Der Kläger erwarb am 08.03.2013 von einem Fahrzeughändler das von der Beklagten hergestellte Kraftfahrzeug VW Scirocco mit einer Fahrleistung von 50.800 km zu einem Preis von 19.250 EUR. Das Fahrzeug ist mit einem 2,0 l-Motor des Typs EA 189 ausgerüstet. Der Motortyp enthält eine Software, welche auf dem Prüfstand vom regulären Abgasrückführungsmodus 0 in den stickoxid-optimierten Modus 1 wechselt (Umschaltlogik). Dadurch ergeben sich auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Hierfür war der Stickoxidausstoß im Prüfstand maßgebend.

Ab September 2015 wurde - ausgehend von einer Pressemitteilung der Beklagten vom 22.09.2015 - über den Diesel-Skandal betreffend Motoren vom Typ EA 189 in den nationalen und internationalen Medien ausführlich berichtet. Zeitgleich mit der Pressemitteilung veröffentlichte die Beklagte eine aktienrechtliche ad hoc-Mitteilung und informierte ihre Vertragshändler und Servicepartner über den Umstand, dass Fahrzeuge mit dem Motortyp EA 189 über die beschriebene Umschaltlogik verfügen. Die Beklagte schaltete Anfang Oktober 2015 eine Website frei, auf der jedermann unter Eingabe einer Fahrzeugidentifikationsnummer ermitteln konnte, ob das Fahrzeug mit einem vom Abgasskandal betroffenen Motor ausgestattet ist. Zu der Freischaltung gab die Beklagte ebenfalls im Oktober 2015 eine Pressemitteilung heraus. Darin wurde auch über den vom Kraftfahrtbundesamt beschlossenen Rückruf der betroffenen Fahrzeuge berichtet und die Beklagte kündigte an, in Abstimmung mit den zuständigen Behörden an Lösungsmöglichkeiten zu arbeiten. Entsprechend wurde in zahlreichen Medien berichtet. Daneben bestand die Möglichkeit, sich telefonisch, schriftlich oder per E-Mail beim Kundenservice der Beklagten zu informieren, ob in einem konkreten Pkw die Software verbaut ist. Zu den Einzelheiten wird auf die Ausführungen der Beklagten hierzu unter Lit. B. I. 1. in der Klageerwiderung vom 25.09.2...

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