Entscheidungsstichwort (Thema)

Zahnärztliche Aufklärungspflicht vor Wurzelbehandlung; Beweislast und Beweisanforderungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Vor einer Zahnextraktion muss der Zahnarzt den Patient über die Möglichkeit einer Wurzelkanalbehandlung aufklären. Hingegen ist vor einer Wurzelkanalbehandlung in der Regel nicht über die Möglichkeit der Zahnextraktion oder der Hemisektion als Behandlungsalternative aufzuklären.

2. Den Beweis umfassender und sachgemäßer Aufklärung muss der Zahnarzt führen. Gibt es für das Aufklärungsgespräch keine Zeugen, erfordert das Gebot effektiven Rechtsschutzes in der Regel die gerichtliche Anhörung von Arzt und Patient in Gegenüberstellung. Besteht hiernach anhand der Dokumentation in Verbindung mit dem Anhörungsergebnis ein zureichender Anhalt für eine ordnungsgemäße Aufklärung, sollte dem Arzt in der Regel auch dann geglaubt werden, wenn die konkrete Erinnerung angesichts der Vielzahl der Behandlungsfälle lückenhaft ist.

3. Die Patientenbehauptung, infolge Einnahme eines Schmerzmittels (Tramadol) die Aufklärung nicht verstanden zu haben, ist unerheblich, es sei denn er legt plausibel dar, dass die behauptete Beeinträchtigung seines Wahrnehmungsvermögens sich dem Zahnarzt erschließen musste. Fehlt derartiger Vortrag, ist der (möglicherweise) wegen unzureichender Aufklärung rechtswidrige Eingriff jedenfalls entschuldigt.

4. Zur Frage, ob ein bei der Wurzelkanalbehandlung abgebrochenes Instrumententeil zwingend entfernt werden muss.

 

Normenkette

MRK Art. 6; GG Art. 20 Abs. 3; GG § 103 Abs. 1; BGB §§ 249, 253, 276, 278, 280, 611, 823; ZPO §§ 141, 286, 448

 

Verfahrensgang

LG Mainz (Urteil vom 29.04.2015; Aktenzeichen 9 O 388/13)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des LG Mainz vom 29.4.2015 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das angefochtene Urteil des LG Mainz ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Der Kläger verlangt materiellen und immateriellen Schadensersatz sowie die Feststellung der Einstandspflicht für zukünftige Schäden wegen fehlerhafter zahnärztlicher Behandlung bzw. unzureichender Aufklärung vor einer zahnärztlichen Behandlung.

Der Kläger suchte die Praxis der Beklagten, in der er zuvor bereits behandelt wurde, am 30.4.2011 auf. Am Behandlungstag wurde eine Wurzelbehandlung von Zahn 17 aufgenommen. Eine Fortsetzung der Behandlung erfolgte am 7., 13., 17. und 19.5.2011. Am 21.5.2011 ließ er sich durch einen anderen Zahnarzt den Zahn ziehen.

Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, am 30.4.2011 sei dem Beklagten zu 3) ein Teil des Wurzelinstruments abgebrochen. Die Versorgung des Wurzelkanals habe nicht dem zahnärztlichen Standard entsprochen. Er habe erhebliche Schmerzen erlitten und durch eine Gangrän sei die Nahrungsaufnahme erschwert worden. Die Behandlung seiner Beschwerden sei unzureichend erfolgt. Insbesondere sei eine bildgebende Diagnostik unterlassen worden, weshalb auch die abgebrochene Spitze des Wurzelinstruments nicht entdeckt worden sei. Letztlich habe der Zahn aufgrund der fehlerhaften Behandlung durch die Beklagten extrahiert werden müssen. Eine Aufklärung vor der Durchführung der Wurzelbehandlung sei nicht erfolgt. Insbesondere sei er nicht über Behandlungsalternativen - konkret die Möglichkeit einer Extraktion des Zahns - unterrichtet worden. Zur weiteren Behandlung bedürfe es der Versorgung der Lücke in der Position des Zahnes 17 durch ein Implantat.

Erstinstanzlich hat der Kläger ein Schmerzensgeld nach gerichtlichem Ermessen in einer Mindesthöhe von 5.100,00 EUR nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit, Erstattung der Kosten für ein Implantat auf der Grundlage eines Kostenvoranschlags in Höhe von 1.927,00 EUR sowie die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für künftige materielle Schäden begehrt.

Die Beklagten haben behauptet, der Abbruch eines Teils des Wurzelinstruments stelle eine Behandlungskomplikation und nicht die Folge eines fehlerhaften Vorgehens dar. Frakturierte Wurzelinstrumente seien nicht geeignet, Schmerzen zu verursachen. Über die Risiken und Nachteile einer Wurzelbehandlung sei der Kläger vom Beklagten zu 3) sowie am 7.5.2011 von der Beklagten zu 4) aufgeklärt worden. Letztlich sei die Behandlung auf ausdrückliche Bitte des Klägers erfolgt.

Hinsichtlich des Weiteren erstinstanzlichen Vorbringens sowie der konkreten Sachanträge der Parteien wird auf das angefochtene Urteil vom 29.4.2015 verwiesen.

Das sachverständig beratene LG hat die Klage abgewiesen. Der Kläger habe einen Behandlungsfehler der Beklagten nicht bewiesen. Beanstandungen hinsichtlich der Vorgehensweise der Beklagten seien auf der Grundlage des eingeholten Sachverständigengutachtens nicht zu erheben. Das Abbrechen von Wurzelkanalinstrumenten sei bei Wurzelbehandlungen möglich, verursache aber keinen Schmerz. Regelmäßig könne das abgebrochene Teil in den Wurzelkanälen verbleiben. Eine unzureichende Aufklärung sei nicht festzustellen, da eine Aufkl...

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