Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermittlungssoftware
Leitsatz (amtlich)
Dass ein zur Ermittlung von Rechtsverletzungen in Internettauschbörsen eingesetztes Computerprogramm der Validierung durch Gutachten unabhängiger Sachverständiger bedarf, um die Offensichtlichkeit der Rechtsverletzungen zu belegen (vgl. Senatsbeschluss vom 20.01.2012 - 6 W 242/11 = WRP 2012, 850), gilt nicht ausnahmslos; andere Beweis- und Glaubhaftmachungsmittel genügen, wenn ihre Würdigung im Ergebnis so eindeutig ist, dass eine ungerechtfertigte Belastung der Anschlussinhaber ausgeschlossen erscheint.
Normenkette
UrhG § 101 Abs. 9
Verfahrensgang
LG Köln (Entscheidung vom 09.03.2012; Aktenzeichen 227 O 33/12) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 18. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 218 O 28/12 - vom 09.03.2012 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beteiligten zu 2.) wird gestattet, der Antragstellerin unter Verwendung von Verkehrsdaten im Sinne des § 30 Nr. 3 TKG Auskunft zu erteilen über den Namen und die Anschrift derjenigen Nutzer, denen die in der Anlage ASt 1 des Beschlusses der Kammer vom 31.01.2012 aufgeführten IP-Adressen zu den jeweils dort aufgeführten Zeitpunkten zugewiesen waren.
2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben; die Kosten des Verfahrens erster Instanz und ihre eigenen außergerichtlichen Kosten trägt die Antragstellerin.
Gründe
I. Die Antragstellerin stützt sich auf von der WePLAY Music and Management GmbH & Co. KG abgeleitete ausschließliche Nutzungsrechte an dem am 13.01.2012 veröffentlichten Single-Tonträger "The Disco Boys - Around The World". Sie hat in Bezug auf zwei sogenannte Chartcontainer vom 30.01.2012 ("German Top 100 Neueinsteiger" und "German Top 100 Single Charts"), die ebenso wie das am 27.01.2012 erschienene Album "The Disco Boys Vol. 12" diese (aus den Teilen "Radio Mix" und "Extended Mix" bestehende) Tonaufnahme enthalten, bei dem Landgericht Köln den Erlass einer Anordnung gemäß § 101 Abs. 9 UrhG beantragt. Das Landgericht hat der Beteiligten zu 2.) durch Beschluss vom 31.01.2011 die Sicherung der verfahrensgegenständlichen Daten aufgegeben, durch Beschluss vom 09.03.2012 den Antrag jedoch abgelehnt, weil die Antragstellerin nicht nachgewiesen habe, dass von den in der Anlage ASt 1 aufgelisteten IP-Adressen aus die behaupteten Rechtsverletzungen begangen worden seien, denn dass die von ihrer Beauftragten Verstigo Internet Services GmbH eingesetzte Ermittlungssoftware "CASSIS" den Zuverlässigkeitsanforderungen genüge, sei nicht durch Gutachten eines unabhängigen Sachverständigen belegt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.
II. Die gemäß § 101 Abs. 9 S. 4, 6, 7, §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde ist begründet. Im Ergebnis kann dem Begehren der Antragstellerin die Berechtigung nicht abgesprochen und das Vorliegen der Voraussetzungen einer Anordnung nach § 101 Abs. 9 UrhG nicht verneint werden.
Das Landgericht hat sich für seine Zweifel an der Zuverlässigkeit des von der beauftragten Verstigo GmbH zu Ermittlungen verwendeten Computerprogramms "CASSIS" auf den Senatsbeschluss vom 20.01.2012 - 6 W 242/11 (WRP 2012, 850) - bezogen, worin im Anschluss an vorangegangene Senatsentscheidungen wie den Beschluss vom 16.12.2010 - 6 W 164/10 - die von den dortigen Antragstellern geltend gemachten Rechtsverletzungen nicht als "offensichtlich" im Sinne von § 101 Abs. 2 UrhG angesehen worden waren, weil die Eignung der dort eingesetzten Ermittlungssoftware nur pauschal behauptet und nicht hinreichend nachvollziehbar vorgetragen worden war. Nachdem in jenen Verfahren vorgelegte eidesstattliche Versicherungen als nicht aussagekräftig angesehen worden waren, war von der Antragstellerin unter anderem die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeboten worden. Das hat der Senat nicht als ausreichend angesehen, weil die Funktionsfähigkeit der Software damit allenfalls retrospektiv hätte aufgeklärt werden können, eine "offensichtliche" Rechtsverletzung aber nur angenommen werden könne, wenn der Antragsteller die Funktionstüchtigkeit des von ihm eingesetzten Computerprogramms zur Zeit der behaupteten Rechtsverletzungen sicherstelle und dokumentiere, so dass sie bei Antragstellung nachgewiesen werden könne. Das setze in der Regel eine vorherige Überprüfung und regelmäßige Kontrolle durch unabhängige Sachverständige voraus.
Diese Erwägungen, an denen der Senat grundsätzlich festhält, betrafen ein Computerprogramm, dessen Tauglichkeit infolge des unzureichenden Vorbringens der dortigen Antragstellerin zweifelhaft geworden war. Dagegen ist die hier in Rede stehende Software in der Vergangenheit auch vom Senat als zuverlässig und der von der Antragstellerin insoweit erbrachte Nachweis als hinreichend angesehen worden; in seinem vom Landgericht durch den Senatsbeschluss vom 20.01.2012 als überholt angesehenen Beschluss vom 06.05.2011 - 6 W 25/11 - hat der Senat zuvor angedeutete Bedenken als ausgeräumt angesehen, nachdem die Antragstellerin...