Leitsatz (amtlich)

Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch kann unwirksam sein, wenn die amtsgerichtlichen Feststellungen die Strafbarkeit des Angeklagten hinsichtlich einer von zwei tateinheitlichen Verurteilungen nicht zu belegen vermögen.

 

Normenkette

StPO § 318

 

Tenor

  • I.

    Der Beschluss vom 31. März 2022 wird aufgehoben

  • II.

    Das angefochtene Urteil wird aufgehoben

    1. im Schuldspruch mit den zugehörigen Feststellungen, soweit der Angeklagte wegen unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Stoffen und Gütern in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz verurteilt worden ist - sowie
    2. im gesamten Strafausspruch.

    Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Aachen zurückverwiesen.

 

Gründe

A.

Das Amtsgericht Düren hat den Angeklagten am 21. Juni 2021 wegen unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Stoffen und Gütern in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz sowie wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu der unbedingten Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt.

Seine hiergegen gerichtete, im Hauptverhandlungstermin auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs beschränkte Berufung hat das Landgericht mit der angefochtenen Entscheidung verworfen.

Hiergegen hat der Angeklagte mit taggleich eingegangenem anwaltlichem Schriftsatz vom 4. Februar 2022 Revision eingelegt und das Rechtsmittel zugleich mit der nicht ausgeführten Sachrüge begründet.

Mit Beschluss vom 31. März 2022 hat die Berufungsstrafkammer die Revision als mangels Begründung unzulässig verworfen, diese Entscheidung indessen auf die am 8. April 2022 eingegangene "Beschwerde" des Angeklagten mit Beschluss vom 28. April 2022 wieder aufgehoben.

B.

I.

Die gegen den Verwerfungsbeschluss der Berufungsstrafkammer vom 31. März 2022 gerichtete "Beschwerde" ist gemäß § 300 StPO als Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts im Sinne von § 346 Abs. 2 StPO auszulegen, da die das Rechtsmittel als unzulässig verwerfende Entscheidung nur auf diesem Wege beseitigt werden kann. Das so verstandene Rechtsmittel ist fristgerecht gemäß § 346 Abs. 2 S. 1 StPO eingelegt; in der Sache hat es Erfolg, weil die Revision zugleich mit ihrer Einlegung unter Erhebung der allgemeinen Sachrüge begründet worden ist.

Eine Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses ist nicht etwa infolge des Aufhebungsbeschlusses des Amtsgerichts vom 28. April 2022 entbehrlich. Der Tatrichter darf einen Verwerfungsbeschluss nach § 346 Abs. 1 StPO nicht selbst aufheben; ein solcher Aufhebungsbeschluss ist nichtig (SenE v. 17.12.2001 - Ss 480/01 -; SenE v. 21.09.2006 - 83 Ss-OWi 68/06 -; Meyer-Goßner/Schmitt-Schmitt, StPO, 65. Auflage 2022, § 346 Rz. 6 ["wirkungslos"]; MüKo-StPO-Knauer/Kudlich, § 346 Rz. 15 ["unwirksam"]).

II.

Die Zulässigkeitsbedenken nicht unterliegende Revision des Angeklagten hat Erfolg; sie führt zur teilweisen Aufhebung des Schuldspruchs sowie des gesamten Rechtsfolgenausspruchs und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

1.

Der erklärten Beschränkung der Berufung auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs ist - was der Senat von Amts wegen zu prüfen hat (st. Senatsrspr., s. zuletzt SenE v. 22.02.22 - III-1 RVs 20/22 -) - die Wirksamkeit teilweise zu versagen.

a)

Freilich gebietet es die dem Rechtsmittelberechtigten in § 318 S. 1 StPO eingeräumte Verfügungsmacht über den Umfang der Anfechtung, den in Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck kommenden Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlichen Möglichen zu respektieren (Dispositionsfreiheit). Das Rechtsmittelgericht kann und darf daher regelmäßig diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird (BGH BGHSt 47, 32 [38] = NJW 2001, 3134 [3135] = NZV 2001, 434 [435] = DAR 2001, 463 [464] = VRS 101, 107 [110] = VM 2002, 18 [Nr. 16] m. w. Nachw.; SenE v. 02.03.2018 - III-1 RVs 14/18 -; SenE v. 24.03.2021 - III-1 RVs 27/21 -; BayObLG NStZ-RR 2004, 336). Die Beschränkung der Berufung (auf den Rechtsfolgenausspruch) ist nur dann unwirksam, wenn die dem Schuldspruch im angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Feststellungen tatsächlicher und rechtlicher Art unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen oder unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat (grundlegend BGHSt 62, 155 = NJW 2017, 2428 = StraFo 2017, 280 m. N. in Tz. 20; SenE v. 09.07.2019 - III-1 RBs 241/19 -; SenE v. 12.02.2021 - III-1 RVs 20/21 -; SenE v. 24.03.2021 - III-1 RVs 27/21 -). So verhält es sich - wie zu zeigen sein wird - hier hinsichtlich der Tat zu Fall 1 der Urteilsgründe.

aa)

Soweit das Tatgericht den Angeklagten freilich wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Ziff. 3 BtMG verurteilt hat, belegen die amtsgerichtlichen Feststellungen dessen Strafbarkeit nach dieser Bestimmung. Die getroffenen Feststellungen lassen auc...

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