Entscheidungsstichwort (Thema)
Abschiebungshaft - Rechtswidrigkeit einer vorläufigen behördlichen Ingewahrsamnahme
Leitsatz (amtlich)
Eine vorläufige behördliche Ingewahrsamnahme - ohne richterliche Anordnung - ist rechtswidrig, wenn die Rücküberstellung eines im Ausland befindlichen Betroffenen rechtzeitig angekündigt wird, so dass der Behörde vor dem Überstellungstermin eine richterliche Entscheidung herbeiführen kann.
Normenkette
AufenthG § 62
Verfahrensgang
LG Aachen (Beschluss vom 03.05.2006; Aktenzeichen 3 T 103/06) |
AG Aachen (Beschluss vom 24.02.2006; Aktenzeichen 41 XIV 5367. B) |
Tenor
Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen werden die Beschlüsse der 3. Zivilkammer des LG Aachen vom 3.5.2006 - 3 T 103/06 - und des AG Aachen vom 24.2.2006 - 41 XIV 5367.B - abgeändert.
Es wird festgestellt, dass die Ingewahrsamnahme des Betroffenen am 20.4.2005 bis zum Erlass des Haftbeschlusses des AG Aachen am selben Tage rechtswidrig war.
Die außergerichtlichen Kosten der Verfahren aller drei Instanzen hat der Antragsteller dem Betroffenen zu erstatten.
Gründe
Die gem. §§ 3 Satz 2, 7 Abs. 1 FEVG, 106 Abs. 2 AufenthG, 27, 29 FGG zulässige sofortige weitere Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
Die Entscheidung des LG hält der rechtlichen Überprüfung (§§ 27 FGG, 546 ZPO) nicht stand.
Der auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der vorläufigen Ingewahrsamnahme gerichtete Antrag des Betroffenen ist zulässig. Insbesondere besteht im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG im Rahmen des § 13 Abs. 2 FEVG ein Rechtsschutzinteresse für die nachträgliche Feststellung einer bereits beendeten Ingewahrsamnahme durch die Ausländerbehörde (vgl. OLG Köln v. 1.10.2004 - 16 Wx 195/04, OLGReport Köln 2005, 99, m.w.N.)
Der Antrag ist auch begründet, denn der Antragsteller war nicht befugt, den Betroffenen bis zur richterlichen Entscheidung über den Antrag auf Anordnung von Sicherungshaft gem. § 62 AufenthlG vorläufig in Gewahrsam zu nehmen. Eine solche Befugnis kann sich zwar nach der Rechtsprechung des Senates (OLG Köln v. 1.10.2004 - 16 Wx 195/04, OLGReport Köln 2005, 99 = NJW 2005, 34) grundsätzlich aus § 24 OBG NW i.V.m. § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NW ergeben. Im vorliegenden Fall bestand für den Antragssteller jedoch die Möglichkeit, bereits vor der Einreise des Betroffenen am 20.4.2005 eine richterliche Entscheidung über eine Haftanordnung herbeizuführen, denn er war zuvor über die anstehende Rücküberstellung informiert worden. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass der angekündigte Überstellungstermin nicht eingehalten werden würde, ergibt der Akteninhalt nicht; Anhaltspunkte hierfür können - entgegen den Ausführungen des LG - insb. auch nicht dem Schreiben des Regierungspräsidiums Kassel vom 18.4.2005 entnommen werden. Eine vorläufige behördliche Ingewahrsamnahme nach landesrechtlichen Gefahrenabwehrbestimmungen kommt aber nur in Betracht, wenn eine vorherige richterliche Entscheidung nicht zu erreichen ist ("Spontanfestnahme"). Ansonsten hat es bei dem Grundsatz zu verbleiben, dass eine Freiheitsentziehung eine vorherige richterliche Anordnung voraussetzt, die im vorliegenden Fall auch ohne Weiteres hätte erlangt werden können (BVerfG v. 15.5.2002 - 2 BvR 2292/00, NJW 2002, 3161). Es bestand für die antragstellende Behörde die Möglichkeit, bereits vor Rücküberstellung des Betroffenen die Anordnung einstweiliger Abschiebungshaft gem §§ 103 Abs. 2 S. 1 AufenthG, 11 Abs. 1 FreihEntzG zu erwirken. Die auch im Verfahren der einstweiligen Anordnung grundsätzlich gebotene Anhörung des Betroffenen durch das AG hätte dann unverzüglich nach dessen Überstellung nachgeholt werden müssen.
Da der Betroffene mit seinem Begehren durchgedrungen ist, hat der Antragsteller dem Betroffenen dessen Kosten zu erstatten, wobei es offen bleiben kann, ob die Kostenlast aus einer entsprechenden Anwendung des § 16 FEVG (so OLG Hamm FPrax 2005, 49) oder aus § 13 Abs. 1 S. 1 FGG (so OLG Düsseldorf FPrax 2004, 141) folgt.
Fundstellen
Haufe-Index 1606235 |
OLGR-Mitte 2007, 95 |