Leitsatz (amtlich)

1. Zur Abgrenzung der Haftungstatbestände der Art. 18 und 19 WA vom nationalen Leistungsstörungsrecht in dem Fall, dass aufgegebenes Reisegepäck nicht zum Zielflughafen befördert wird, sondern außer Kontrolle gerät und schließlich zum Abflughafen zurückgelangt.

2. Zur vertraglichen geschuldeten Luftbeförderung gehört auch, dass auf den angeflogenen Flughäfen außer Kontrolle geratenes Reisegepäck oder Frachtgut sichergestellt und nachgesandt oder, wenn dies nicht oder nicht rechtzeitig möglich ist, zumindest aufbewahrt wird. Soweit sich die Luftfrachtführer zur Erfüllung dieser Aufgaben der bei den Flughäfen eingerichteten Fundbüros bedienen, rechnen deren Mitarbeiter zu den „Leuten” der Luftfrachtführer i.S.d. Art. 20 und 25 WA.

 

Verfahrensgang

LG Köln (Urteil vom 20.02.2003; Aktenzeichen 22 O 298/02)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 22. Zivilkammer des LG Köln vom 20.2.2003 (22 O 298/02) dahin abgeändert, dass die Beklagte unter Abweisung der weiter gehenden Klage verurteilt wird, an den Kläger 5.248,41 Euro nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 1 DÜG seit dem 21.10.2001 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen der Kläger zu 71 % und die Beklagte zu 29 %.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Wegen des Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen. Im Berufungsverfahren ist unstreitig geworden, dass der Kläger die Kameratasche mit der Filmausrüstung entspr. den von ihm mit der Klageschrift vorgelegten Gepäcktickets (Bl. 13 d.A.) am 23.8.2000 auf dem Flug von L. nach B. bei der Beklagten als Fluggepäck aufgegeben hat.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlichen Antrag unter Berücksichtigung der von der Beklagten vorprozessual geleisteten Zahlung von 273,54 Euro fort. Er begründet das Rechtsmittel wie folgt: Es liege kein unter Art. 18 oder 19 Warschauer Abkommen (WA) einzuordnender Sachverhalt vor. Unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus B. am 8.9.2000 sei der Kläger zu dem Schalter der Beklagten auf dem Flughafen L. gegangen. Dort habe er sich nach dem in B. nicht eingetroffenen Gepäckstück, einer Kameratasche („camera-bag”), erkundigt. Der dortige Mitarbeiter habe im Computer des Fundbüros des Flughafens („Lost-and-Found-Store”) nachgesehen und festgestellt, dass die Kameratasche dort gelagert habe. Aufgrund eines Computerabsturzes habe er allerdings nicht feststellen können, in welchem Raum des Fundbüros sich die Kameratasche befunden habe. Es sei vereinbart worden, dass, sobald diese Feststellung möglich sei, die Kameratasche zu seinem Mitarbeiter K. gebracht werden solle. Dies sei am Abend des 8.9.2000 geschehen. In diesem Zusammenhang habe der Mitarbeiter der Beklagten erklärt, die Kameratasche sei zunächst nach A. geflogen, von dort aber nicht weiter nach B., sondern zurück nach L. transportiert worden. Nach Ansicht des Klägers handelt es sich weder um einen Fall der Verspätung noch des Verlustes, sondern schlicht um eine Nichtleistung der Beklagten, für die weder Art. 18 noch Art. 19 WA gelte. Es handele sich insb. nicht um einen unkontrollierbaren Eingriff von außen, für den die Beschränkungen des WA gerechtfertigt sein könnten. Wenn die Beklagte die geschuldete Transportleistung nicht erbringe, sei nicht gerechtfertigt, ihr irgendwelche Haftungsprivilegien einzuräumen. Der vom LG gezogene Vergleich zur Unmöglichkeit passe nicht. Es sei keineswegs unmöglich gewesen, die Kameratasche nach B. zu transportieren. Die Beklagte sei davon unterrichtet gewesen, dass sie sich im Fundbüro befunden habe. Jedenfalls kämen die Haftungsbeschränkungen gem. Art. 25 WA nicht zur Anwendung, da die Beklagte den Schaden leichtfertig herbeigeführt habe. Das LG habe den unter Beweis gestellten Vortrag des Klägers zum Schicksal der Kameratasche unberücksichtigt gelassen. Deshalb liege auch schon der Vortrag der Beklagten – geschlossenes System bei der Gepäckförderung, Tracing-Verfahren – neben der Sache. Denn es gehe nicht darum, dass die Kameratasche auf nicht nachvollziehbare Weise in Verlust geraten bzw. erst mit einiger Verspätung in B. eingetroffen sei. Sie habe sich vielmehr – möglicherweise nach einer zwischenzeitlichen Beförderung nach A. – im Fundbüro des Flughafens L. befunden und die Beklagte habe dies gewusst. Der ihr zu machende Vorwurf gehe daher dahin, dass sie die Kameratasche dann nicht nach B. transportiert habe. Die Beklagte habe offensichtlich keine Vorkehrungen getroffen, dass ein Gepäckstück, das nicht von L. abtransportiert bzw. von einem Zwischenflughafen wieder zurückgeschickt werde, erneut an seinen zutreffenden Bestimmungsort abgesandt werde. Die Beklagte trage hierzu jedenfalls nichts vor. Aus diesem Grunde sei der Vorwurf eines schwerwiegenden Organisationsverschulden gerechtfertigt. Das gelte erst recht, wenn die Beklagte fehlgeleitete Gepäckstücke im Vertrauen auf die Haftun...

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