Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweislastumkehr, Befunderhebungsmangel

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Unterlassen einer Vestibularisprüfung bei geklagtem Schwindel, dessen Ursache nicht geklärt ist, stellt zwar einen eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln dar, jedoch nicht ohne weiteres einen groben Behandlungsfehler.

2. Für die Annahme einer Beweislastumkehr nach den Grundsätzen über den Befunderhebungsmangel genügt es nicht, dass mit hinreichender - mehr als 50%iger - Wahrscheinlichkeit eine unterlassene Befunderhebung zu einem pathologischen Ergebnis geführt hätte. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit muss sich vielmehr auf ein Ergebnis beziehen, das so zwingend reaktionspflichtig ist, dass ein Unterlassen der Reaktion - und sei es in Form weiterer Kontrolluntersuchungen - sich als grober Fehler darstellen würde.

3. Ist es "völlig offen", ob eine unterlassene Vestibularisprüfung letztlich zur Entdeckung eines Akustikusneurinoms geführt hätte, kommt eine Beweislastumkehr nach den Grundsätzen des Befunderhebungsmangels nicht in Betracht.

 

Normenkette

BGB §§ 280, 823

 

Verfahrensgang

LG Köln (Urteil vom 16.12.2009; Aktenzeichen 25 O 150/07)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 16.12.2009 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des LG Köln - 25 O 150/07 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagte, die niedergelassene Fachärztin für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde ist, im Zusammenhang mit seiner Erkrankung an einem Akustikusneurinom auf Schmerzensgeld und Schadensersatz in Anspruch aufgrund angeblich fehlerhafter Behandlung ab März 2000.

Durch eine kernspintomographische Untersuchung wurde bei dem Kläger im September 2001 ein Akustikusneurinom im rechten Kleinhirnbrückenwinkel festgestellt. Die operative Entfernung des Tumors erfolgte im Januar 2002. Seitdem leidet der Kläger an einer Gesichtslähmung rechts mit unzureichendem Lidschluss, Kopfschmerzen und Tinnitus.

Der Kläger hat gestützt auf ein für seine Krankenversicherung erstattetes Gutachten des Facharztes für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Dr. V vom 18.9.2006 (SH I K1) sowie gutachterliche Stellungnahmen von Prof. Dr. X vom 31.1.2007 (SH I K2), 30.1.2008 (Bl. 136 ff. GA) und vom 15.10.2008 (SH III) Behandlungsfehler der Beklagten bei ihren Behandlungen ab März 2000 behauptet. Insbesondere sei in Anbetracht der von ihm geklagten Beschwerden eine weitere Diagnostik erforderlich gewesen. Mit großer Wahrscheinlichkeit wäre dabei ein richtungsweisender Befund festgestellt, das Akustikusneurinom eher entdeckt und behandelt und die eingetretenen gesundheitlichen Folgen verhindert worden.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld aus der fehlerhaften Behandlung ab März 2000 zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 50.000 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontüberleitungsgesetz seit dem 1.7.2006;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche künftigen immateriellen und alle vergangenen und künftigen materiellen Ansprüche, die ihm infolge der fehlerhaften Behandlung ab März 2000 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. noch übergehen werden;

3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn die ihm entstandenen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. insgesamt 10.866,60 EUR zu zahlen.

Die Beklagten sind dem Vorbringen des Klägers dem Grunde und der Höhe nach entgegengetreten und haben Klageabweisung beantragt.

Wegen der Einzelheiten der tatsächlichen Feststellungen des LG wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 393 bis 402 GA) Bezug genommen.

Nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. E vom 15.12.2007 (Bl. 63 ff. GA) nebst ergänzender Stellungnahme vom 20.1.2009 (Bl. 223 ff. GA) und Anhörung des Sachverständigen im Termin vom 13.8.2008 (Bl. 176 ff. GA) sowie im Termin vom 19.8.2009 (Bl. 291 ff. GA) hat das LG die Klage abgewiesen. Zwar sei dem Kläger der Beweis gelungen, dass die Diagnostik der Beklagten anlässlich der Konsultationen am 10.07. und 16.8.2000 unzureichend gewesen sei. Nicht aber habe er beweisen können, dass ihm aufgrund der Fehlbehandlung ein Schaden entstanden sei, da sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellen lasse, dass das Akustikusneurinom früher detektiert und operiert worden wäre und dass dann die aufgetretene Operationskomplikation, nämlich die Facialisparese, ausgeblieben wäre....

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