Leitsatz (amtlich)

1. Bei gegen den Hersteller gerichteten Individualklagen aus Anlass des sogenannten Abgasskandals richtet sich auch die örtliche Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, wenn der Hersteller seinen Sitz in einem EU-Mitgliedsstaat hat.

2. Es ist jedenfalls nicht als willkürlich anzusehen, wenn das Gericht am Wohnsitz des Klägers das Verfahren an das Gericht, in dessen Bezirk der Kaufvertrag geschlossen wurde, verweist.

 

Normenkette

EuGVVO Art. 7 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LG Memmingen (Aktenzeichen 32 O 648/21)

LG Memmingen (Aktenzeichen 32 O 11461/21)

LG München II (Aktenzeichen 13 O 3266/21)

 

Tenor

Örtlich zuständig ist das Landgericht München II.

 

Gründe

I. Mit seiner zum Landgericht Memmingen (Az. zunächst: 32 O 648/21) erhobenen Klage vom 28.4.2021 begehrt der in diesem Bezirk wohnhafte Kläger von der in Italien ansässigen Beklagten u.a. Zahlung von Schadensersatz Zug um Zug gegen Rückgabe eines vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Diesel-Fahrzeugs. Das Fahrzeug hatte der Kläger am 7.3.2014 bei einem Autohändler in S., das im Bezirk des Landgerichts München II gelegen ist, erworben.

Der Kläger führt aus, der von der Beklagten hergestellte Motor halte die gesetzlichen Grenzwerte der Emissionsklasse 5 nicht ein. Die Beklagte sei daher gemäß § 826 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB bzw. § 27 EG-FGV und § 831 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Memmingen ergebe sich aus Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: EuGVVO), die örtliche aus dem deliktischen Erfolgsort am Sitz der Klagepartei.

Mit Verfügung vom 28.7.2021 hat das Landgericht Memmingen darauf hingewiesen, dass gegen seine örtliche Zuständigkeit Bedenken bestünden.

Die Beklagte hat sich in der Klageerwiderung vom 7.8.2021 mit einer Verweisung an das Landgericht München II einverstanden erklärt.

Mit Schriftsatz vom 18.8.2021 hat der Kläger daraufhin Verweisung an das Landgericht München II beantragt. Nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO sei das Gericht zuständig, "an dem der Schaden eingetreten sei oder einzutreten drohe". Der Europäische Gerichtshof habe in einem Urteil vom 9.7.2020 (Rechtssache C-343/19 = NJW 2020, 2869) hierzu nähere Ausführungen gemacht. Der Schaden liege hier im Abschluss des Kaufvertrages und dem Eingriff in die Dispositionsfreiheit. Damit könne die Klage - anders als im Fall des § 32 ZPO - nicht am Wohnsitz des Klägers erhoben werden, sondern dort, wo der Kaufvertrag geschlossen worden sei.

Mit Beschluss vom 30.8.2021 hat sich das Landgericht Memmingen für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht München II verwiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, die Beklagte habe ihren Sitz nicht im Bezirk des Landgerichts Memmingen. Eine Zuständigkeit aufgrund einer unerlaubten Handlung ergebe sich vorliegend nicht aus § 32 ZPO, sondern aus Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. Danach könne eine Klage vor dem Gericht des Ortes erhoben werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten sei oder einzutreten drohe. Auf den Wohnsitz des Klägers komme es dabei nicht an. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sei der Ort des "schädigenden Ereignisses" vielmehr dort anzusiedeln, wo das Vermögen des Betroffenen direkt geschädigt wurde. Vorliegend sei der Kaufvertrag in S. abgeschlossen worden. Dieser Ort sei sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort. Der Schaden liege im Abschluss des Kaufvertrages und dem damit verbundenen Eingriff in die Dispositionsfreiheit. Hierdurch sei das Vermögen des Klägers bereits mit der Zahlungsverpflichtung belastet worden. Auf die tatsächliche Zahlung komme es nicht an.

Das Landgericht München II (Az.: 13 O 3266/21) hat, ohne die Parteien anzuhören, mit Beschluss vom 15.9.2021 die Übernahme abgelehnt und das Verfahren dem Landgericht Memmingen zur Verfahrensführung in eigener Zuständigkeit zurückgeleitet, da dieses zuständig sei. Eine Verweisung setze voraus, dass das verweisende Gericht unzuständig sei. Ein Beschluss, mit dem sich ein Gericht über seine Zuständigkeit hinwegsetze und mit dem es in der Folge einen Rechtsstreit verweise, für den es nach geltendem Recht unzweifelhaft zuständig sei, entfalte keine Bindungswirkung, wie der erkennende Senat mit Beschluss vom 26.4.2021 (34 AR 26/21 - juris) festgestellt habe. Das Landgericht Memmingen sei nach Art. 7 Abs. 2 EuGVVO zuständig, da der Erfolgsort als der Ort, an dem der durch die deliktische Handlung verursachte Schaden eingetreten sei, in dessen Zuständigkeitsbereich liege. Der Kläger wohne im dortigen Bezirk und nutze nach eigenem Vortrag das Fahrzeug dort, weshalb auch dort der Schaden entstanden sei. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 9.7.2020, mit dem sich der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Memmingen nicht auseinandersetze, handle es sich bei dem vom Kläger behaupteten Schaden ...

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