Leitsatz (amtlich)
Grundbucheinsichtsrecht eines pflichtteilsberechtigten Angehörigen, der Miterbe ist, zur Feststellung etwaiger Pflichtteilsergänzungsansprüche.
Normenkette
BGB § 2303 Abs. 1, § 2325; GBO § 12 Abs. 1 S. 1, § 12c Abs. 4 S. 2
Verfahrensgang
AG Garmisch-Partenkirchen (Beschluss vom 10.08.2012; Aktenzeichen Pa-13934) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten wird der Beschluss des AG Garmisch-Partenkirchen - Grundbuchamt - vom 10.8.2012 aufgehoben. Das AG Garmisch-Partenkirchen - Grundbuchamt - wird angewiesen, die Grundbucheinsicht im beantragten Umfang zu gewähren.
Gründe
I. Die Beteiligte ist eine gesetzliche Erbin ihres am 21.8.2011 verstorbenen Vaters. Am 25.7.2012 beantragte sie die Erteilung von unbeglaubigten Grundbuchauszügen "über eventuelle Grundbesitze" des verstorbenen Vaters. Diese benötige sie zur Klärung von möglichen Erbergänzungsansprüchen gegen Personen, an die Grundstücke möglicherweise vor dem Erbfall übertragen wurden.
Auf die ablehnende Entscheidung des Urkundsbeamten vom 30.7.2012 legte die Beteiligte "Beschwerde" ein und verwies erneut auf ihr Interesse an der Einsichtnahme im Hinblick auf Pflichtteilsergänzungsansprüche.
Diesen Rechtsbehelf hat der Rechtspfleger des Grundbuchamts mit Beschluss vom 10.8.2012 zurückgewiesen, da sich Ergänzungsansprüche nur aus Verträgen ergeben könnten und zudem nicht hinreichend dargelegt sei, dass solche Ansprüche bestehen Als Miterbin könnten der Beteiligten im Übrigen keine Pflichtteilsergänzungsansprüche zustehen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die unter dem 17.9.2012 eingelegte Beschwerde, der das Grundbuchamt nicht abgeholfen hat.
II. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde (§ 12c Abs. 4 Satz 2 mit § 71 Abs. 1, § 73 GBO), die sich gegen eine Erinnerungsentscheidung des Rechtspflegers richtet (vgl. zur Rechtspflegerzuständigkeit OLG München vom 25.1.2011, 34 Wx 160/10, Rpfleger 2011, 196 m. Anm. Hintzen), hat in der Sache Erfolg. Die Beteiligte hat ein berechtigtes Interesse an einer Grundbucheinsicht im beantragten Umfang, nämlich auf Erteilung von unbeglaubigten Grundbuchauszügen über etwaigen Grundbesitz des Erblassers, hinreichend dargetan.
1. Ein berechtigtes Interesse i.S.v. § 12 Abs. 1 Satz 1 GBO ist gegeben, wenn zur Überzeugung des Grundbuchamts ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse des Antragstellers dargelegt wird, wobei auch ein bloß tatsächliches, insbesondere wirtschaftliches Interesse das Recht auf Grundbucheinsicht begründen kann (KG NJW2002, 223/224; BayObLG Rpfleger 1999, 216/217; Demharter, GBO, 28. Aufl., § 12 Rz. 7 ff.). § 12 Abs. 1 GBO bezweckt nicht in erster Linie einen Geheimnisschutz, sondern zielt auf eine Publizität, die über die rein rechtliche Anknüpfung an die Vermutungs- und Gutglaubensvorschriften der §§ 891 ff. BGB hinausgeht. Dabei genügt zwar nicht jedes beliebige Interesse des Antragstellers. Entscheidend ist in der Regel das Vorbringen sachlicher Gründe, welche die Verfolgung unbefugter Zwecke oder bloßer Neugier ausgeschlossen erscheinen lassen (BayObLG Rpfleger 1999, 216/217; KG NJW 2002, 223/225; NJW-RR 2004, 1316/1317). Nur in Zweifelsfällen ist dabei zu berücksichtigen, dass der in seinem informationellen Selbstbestimmungsrecht Betroffene grundsätzlich vor der Gewährung der Einsicht nicht gehört wird (BVerfG NJW 2001, 503) und ihm gegen die Gewährung auch kein Beschwerderecht zusteht (BGHZ 80, 126 ff.).
2. Das AG hat bei der Anwendung dieser Grundsätze zu Unrecht ein derartiges Interesse verneint.
Es ist allgemein anerkannt, dass nach Eintritt des Erbfalls ein Pflichtteilsberechtigter - wozu die Beteiligte als Tochter des Erblassers zählt (§ 2303 Abs. 1 BGB) - in aller Regel ein berechtigtes Interesse an der Grundbucheinsicht zur Regelung der erbrechtlichen Ansprüche und insbesondere zur Geltendmachung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen hat (vgl. hierzu KG NJW 2004, 1316; Schöner/Stöber Grundbuchrecht 15. Aufl. Rz. 525 m.w.N.; Hügel/Wilsch GBO 2. Aufl., § 12 Rz. 60). Dabei kann das Interesse sich nicht nur auf die Frage erstrecken, in welcher Höhe mögliche Ansprüche gegen Miterben bestehen. Können Pflichtteilsergänzungsansprüche entstanden sein, so ergibt sich das berechtigte Interesse an der Einsicht in Grundbuchblätter auch ehemaligen Grundeigentums des Erblassers allein schon zur Klärung, ob solche Ansprüche tatsächlich entstanden sind. Das Interesse umfasst auch die Einsicht in die Abteilungen II und III (OLG Düsseldorf FGPrax 2011, 58).
Rechtsirrig verneint das AG, dass ein solcher Pflichtteilsergänzungsanspruch der Beteiligten entstanden sein kann, mit der Begründung, die Beteiligte habe die Erbschaft angenommen und sei daher nicht pflichtteilsberechtigt. Die Beteiligte hat dargelegt, dass sie gesetzliche Erbin - Miterbin zu 1/4 - ist. Auch einem gesetzlichen Erben kann ein Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB zustehen. Der Zweck der Norm ist nämlich nicht nur auf einen Ausgleich bei Beeinträchtigung der Höhe des Pflichtteils durch de...