Leitsatz (amtlich)
1.
Zum Verfahrensgegenstand eines in der Rechtsbeschwerdeinstanz gestellten Fortsetzungsfeststellungsantrags, wenn die Haft nach Einlegung der Rechtsbeschwerde beendigt wurde.
2.
Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen kann durch die Ausländerbehörde verletzt sein, wenn statt einer notwendigen Passersatzpapier-Beschaffung stattdessen der nicht zielführende Versuch der Verlängerung eines schon geraume Zeit ungültigen Reisepasses unternommen wird.
Verfahrensgang
LG Traunstein (Entscheidung vom 18.04.2006; Aktenzeichen 4 T 1072/06) |
AG Rosenheim (Aktenzeichen XIV 40/06 B) |
Gründe
I.
Die Ausländerbehörde betrieb die Abschiebung des Betroffenen, eines pakistanischen Staatsangehörigen.
Der Betroffene reiste erstmals am 3.4.1995 in das Bundesgebiet ein. 1997 heiratete er in Spanien eine deutsche Staatsangehörige. Die Ausländerbehörde erteilte ihm in der Folgezeit wiederholt eine Aufenthaltserlaubnis, zuletzt bis 9.8.2002. Aufgrund einer Verurteilung durch das Landgericht Oldenburg vom 1.12.2003 wegen sexuellen Missbrauchs befand sich der Betroffene bis 4.10.2005 in Strafhaft.
Gemäß einem für sofort vollziehbar erklärten Bescheid des Landkreises A. vom 16.9.2005 wurde der Betroffene aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und ihm nach dem 31.10.2005 die Abschiebung nach Pakistan angedroht. Die Ausländerbehörde ging in diesem Zeitpunkt aufgrund der Anhörung der Ehefrau des Betroffenen davon aus, dass diese nicht mehr bereit sei, die familiäre Lebensgemeinschaft aufrechtzuerhalten, sondern beabsichtige, die Scheidung einzureichen. Der Bescheid ist seit 20.9.2005 vollziehbar.
Seit 31.10.2005 war der Betroffene unbekannten Aufenthalts. Am 26.2.2006 wurde er von Italien kommend bei der Einreise an der deutsch-österreichischen Grenze festgenommen. Er wies sich beim Grenzübertritt der Einreise mit einer gefälschten italienischen Aufenthaltserlaubnis und einer Passkopie einer anderen Person aus.
Auf Antrag der Ausländerbehörde hat das Amtsgericht mit für sofort wirksam erklärtem Beschluss vom 27.2.2006 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung auf die Höchstdauer von drei Monaten angeordnet. Die sofortige Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht mit Beschluss vom 18.4.2006 zurückgewiesen. Gegen den landgerichtlichen Beschluss richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 25.4.2006, mit der er zugleich Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines anwaltlichen Vertreters beantragt.
Am 22.5.2006 wurde der Betroffene auf Veranlassung der Ausländerbehörde aus der Abschiebungshaft entlassen. Er beantragt nunmehr festzustellen, dass die Inhaftnahme zum Zweck der Abschiebung rechtswidrig war.
II.
Das zulässige Rechtsmittel hat vorläufigen Erfolg.
1.
Der Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde steht die Haftentlassung nicht entgegen. Dadurch hat sich zwar das Verfahren in der Hauptsache erledigt. Der Betroffene hat jedoch durch Umstellung des Beschwerdeantrags dahingehend, dass die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehungsmaßnahme festgestellt werden solle, sein Rechtsschutzbegehren den geänderten Umständen in zulässiger Weise angepasst. Die dem Richter vorbehaltene Anordnung von Abschiebungshaft (Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG) greift tief in den Schutzbereich des Grundrechts der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) ein. Im Fall von Abschiebungshaft kann eine abschließende gerichtliche Entscheidung in den von der Verfahrensordnung gegebenen Instanzen häufig vor dem Ablauf des festgesetzten Zeitraums nicht erlangt werden. Unabhängig von der Haftdauer besteht bei Freiheitsentziehungen grundsätzlich ein Rehabilitierungsinteresse (BVerfGE 104, 220/235; BVerfG vom 31.10.2005, 2 BvR 2233/04). Daher kann der Betroffene gegen die ergangene Entscheidung ein Rechtsmittel mit dem Ziel der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit einlegen oder fortführen, auch wenn sich das ursprünglich damit verfolgte Begehren wegen Beendigung der Haft prozessual überholt hat. Andernfalls würde der durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierte effektive Rechtsschutz versagt (BayObLGZ 2000, 220/221; BayObLG vom 30.1.2002, bei Melchior, Abschiebungshaft Anhang; OLG München AuAS 2006, 160).
2.
Die vom Beschwerdeführer begehrte Rechtswidrigkeitsfeststellung umfasst den gesamten Haftzeitraum vom 27.2. bis 22.5.2006.
Gegenstand der Überprüfung durch das Gericht der weiteren Beschwerde ist grundsätzlich die Entscheidung des Beschwerdegerichts und damit (nur) das, worüber das Beschwerdegericht eine Entscheidung getroffen hat. Dem entspricht es, dass das Rechtsbeschwerdegericht nur zu einer rechtlichen Überprüfung, nicht aber zu einer eigenen Sachverhaltsermittlung befugt ist (vgl. § 27 Abs. 1 FGG, §§ 546, 559 ZPO). Im Rahmen der Fortsetzungsfeststellung ergeben sich jedoch, bedingt durch die verfassungsrechtlichen Anforderungen, Besonderheiten.
Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet, sofern das Prozessrecht eine weitere Instanz eröffnet, in diesem Rahmen die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame gerichtl...