Leitsatz (amtlich)
1. Die Rechtsprechung, wonach die Bezeichnung des streitigen Gerichts im Mahnbescheidsantrag die Ausübung eines der Klagepartei zwischen mehreren Gerichtsständen zustehenden Wahlrechts darstellt, setzt ein zu diesem Zeitpunkt bestehendes Wahlrecht voraus. Entsteht das Wahlrecht erst zu einem späteren Zeitpunkt im Mahnverfahren, so kann die Klagepartei ihr Wahlrecht grundsätzlich noch durch Stellung eines Verweisungsantrags beim Streitgericht vor Zustellung der Klagebegründung an den Prozessgegner ausüben (hier: Wohnsitzverlegung des Beklagten während des Mahnverfahrens).
2. Die Auffassung, dass dies auch gilt, wenn zum Zeitpunkt des Mahnbescheidsantrags das Wahlrecht zwar objektiv gegeben war, die Klagepartei von den das Wahlrecht begründenden Tatsachen aber - nicht vorwerfbar - keine Kenntnis hatte, ist jedenfalls nicht willkürlich; eine darauf gestützte Verweisung ist für das Empfangsgericht grundsätzlich bindend.
Normenkette
ZPO §§ 35-36, 281, 690 Abs. 1 Nr. 5, § 696 Abs. 3
Verfahrensgang
AG München (Aktenzeichen 155 C 9498/06) |
AG Ebersberg (Aktenzeichen 7 C 146/06) |
Tenor
Zuständig ist das AG München.
Gründe
I. Die Klägerin macht gegen den Beklagten Ansprüche aus Reisevertrag geltend. Im Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids ist eine Adresse des Beklagten in Ebersberg und als Streitgericht das AG Ebersberg angegeben. Nach Widerspruch des Beklagten, mit dem er zugleich seine neue Adresse in München angab, wurde der Rechtsstreit 6 Monate später an das AG Ebersberg abgegeben. Auf Antrag der Klägerin verwies das AG Ebersberg mit Beschluss vom 21.3.2006 den Rechtsstreit an das AG München. Zur Begründung ist auf den Wohnsitz des Beklagten in München hingewiesen; auch sei das AG München als Gerichtsstand des Erfüllungsorts zuständig. Mit Beschluss vom 11.4.2006 lehnte das AG München die Übernahme ab, da der Gerichtsstand des Erfüllungsorts in Ebersberg liege und das AG Ebersberg durch die im Mahnbescheidsantrag bindend getroffene Wahl zuständig sei. Das AG Ebersberg übernahm das Verfahren zunächst wieder, erklärte sich aber auf Rüge des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung vom 1.8.2006 erneut für unzuständig und verwies den Rechtsstreit auf Antrag der Klagepartei an das AG München. Dieses Gericht lehnte die Übernahme wiederum ab und legte die Akten dem OLG München vor.
II. Zuständig ist das AG München, bei dem der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten besteht (§§ 12, 13 ZPO) und an das der Rechtsstreit durch Beschluss des AG Ebersberg vom 1.8.2006 mit bindender Wirkung verwiesen wurde (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Die Bindungswirkung dieses Verweisungsbeschlusses träte ausnahmsweise dann nicht ein, wenn die Verweisung sich so weit von der gesetzlichen Grundlage entfernt hätte, dass sie im Hinblick auf das Gebot des gesetzlichen Richters und das Willkürverbot des Grundgesetzes nicht hingenommen werden könnte (BGH v. 10.12.1987 - I ARZ 809/87, BGHZ 102, 338, 341 = MDR 1988, 470; BayObLGZ 2003, 187/190). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
1. Vom Sachverhalt nicht getragen ist allerdings die Auffassung des AG Ebersberg, dass dort kein Gerichtsstand des Erfüllungsorts begründet sei. Gemäß § 269 Abs. 1, § 270 Abs. 1, 4 BGB ist Erfüllungsort für die Zahlung des vertraglich vereinbarten Entgelts der Wohnsitz des Schuldners zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Das gilt nur dann nicht, wenn ein anderer Ort bestimmt oder aus den Umständen zu entnehmen ist. Hierfür bietet das Parteivorbringen aber keinen Anhalt. Die Parteien haben zwar im Laufe des gerichtlichen Verfahrens die Auffassung vertreten, der Erfüllungsort sei bei der Niederlassung der Klägerin in München. Tatsachenvortrag, der diese Rechtsmeinung stützen könnte, fehlt jedoch. Insbesondere handelte es sich offensichtlich nicht um ein Ladengeschäft des täglichen Lebens mit beiderseitiger sofortiger Leistungserbringung.
Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses hatte der Beklagte seinen Wohnsitz in Ebersberg; ein späterer Wohnsitzwechsel ist bedeutungslos (BayObLG v. 31.1.1996 - 1Z AR 62/95, BayObLGReport 1996, 23 = NJW-RR 1996, 956; Zöller/Vollkommer ZPO 25. Aufl., § 29 Rz. 24). Beim AG Ebersberg bestand daher von Anfang an der Gerichtsstand des Erfüllungsorts (§ 29 ZPO).
2. Zweifelhaft erscheint auch die Annahme des AG Ebersberg, dass der Beklagte zum Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheids seinen Wohnsitz nicht mehr in Ebersberg hatte. Für die Angabe des Beklagten, die Zustellung sei im Wege der Nachsendung an seine Anschrift in München erfolgt, findet sich in den Akten keine Bestätigung. Aus Blatt 5 der Akten ergibt sich dies, anders als das AG Ebersberg meint, gerade nicht. Der Aktenausdruck nach § 696 Abs. 2 ZPO, dem die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde zukommt (§ 696 Abs. 2 Satz 2, § 418 ZPO), bekundet auf Blatt 5 der Akten im Gegenteil, dass nach dem Inhalt der Zustellungsurkunde der Postbedienstete das Schriftstück dem Adressaten (Beklagten) "unter der Zustellanschrift" "persönlich" übergeben hat, wobei als Zustellanschrift die...