Entscheidungsstichwort (Thema)

Grays Anatomy

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die generelle Kenntnis des Diensteanbieters, dass über seinen Dienst in erheblichem Umfang Urheberrechtsverletzungen begangen werden, reicht auch bei einer besonderen Gefahrgeneigtheit des Dienstes in Bezug auf Urheberrechtsverletzungen aufgrund der Haftungsprivilegierung des § 10 Satz 1 Nr. 1 TMG für einen Gehilfenvorsatz nicht aus.

2. Auch nach einem Verletzungshinweis zu einer konkreten ein urheberrechtlich geschütztes Werk enthaltenden Datei hat der Diensteanbieter keine Kenntnis davon, ob das betroffene Werk überhaupt noch über weitere sich auf seinem Server befindliche Dateien öffentlich zugänglich gemacht wird und ggf. über welche, so dass der Diensteanbieter jedenfalls aufgrund der Privilegierung des § 10 Satz 1 Nr. 1 TMG für weitere das gleiche Werk betreffende Urheberrechtsvedetzungen grundsätzlich nicht als Gehilfe haftet.

 

Normenkette

UrhG § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 15 Abs. 2 Nr. 2, §§ 19a, 97; TMG § 2 Nr. 1, § 10 S. 1 Nr. 1, § 10 Nr. 2, § 7 Abs. 2; StGB § 25 Abs. 1-2; BGB § 830

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 18.03.2016; Aktenzeichen 37 O 6199/14)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 02.06.2022; Aktenzeichen I ZR 53/17)

BGH (EuGH-Vorlage vom 20.09.2018; Aktenzeichen I ZR 53/17)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten und auf die Anschlussberufung der Klägerin wird das Urteil des LG München I vom 18.03.2016 abgeändert und insgesamt wie folgt gefasst:

2. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 EUR, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft bis zu 6 Monaten tritt, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, Ordnungshaftjeweils zu vollstrecken am Verwaltungsrat der Beklagten, zu unterlassen, Dritten zu ermöglichen, die Werke 1-3 der nachfolgend eingeblendeten Anlage K 1 (Gray' s Anatomy for Students, Atlas of Human Anatomy und CampbellWalsh Urology) in der Bundesrepublik Deutschland öffentlich zugänglich zu machen, wie über den Dienst "u." unter u.net, u.to und u[x].to geschehen.

Anlage K

Anlage 1: Elsevier

Nr.

Title

Authors

Publisher

1

GRAY'S ANATOMY FOR STUDENTS

RICHARD DRAKE, VOGL & MITCHELL

ELSEVIER/CHURCHILL LIVINGSTONE

2

ATLAS Oo HUMAN ANATOMY

FRANK NETIER

ELSEVIER/SAUNDERS

3

CAMPBELL-WALSH UROLOGY

ALAN J. WEIN, KAVOUSSI, NOVICK & PARTIN

ELSEVIER/SAUNDERS

4

ROBBINS BASIC PATHOLOGY

VINAY KUMAR, ABBAS & ASTER

ELSEVIER/SAUNDERS

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Klägerin 1/3 und die Beklagte 2/3.

II. Im Übrigen werden die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 1/3 und die Beklagte 2/3 zu tragen.

IV. Dieses Urteil und das Urteil des LG sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung aus Ziffer 1. des landgerichtlichen Urteils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000,00 EUR je Werk abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen können die Parteien die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht gegen die Beklagte urheberrechtliehe Unterlassungs-, Auskunfts- und Schadensersatzfeststellungsansprüche im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Sharehostingdienstes geltend.

Die Klägerin ist ein internationaler Fachverlag.

Die Beklagte betreibt über die Webseiten u.net, u.to und u[x].to den Dienst "u.". Es handelt sich dabei um einen so genannten Sharehoster. Dieser Dienst bietet Speicherplatz für den Upload von Dateien beliebigen Inhalts. Sobald der Upload-Prozess abgeschlossen ist, erstellt die Beklagte automatisch einen elektronischen Verweis (Download-Link) auf den Dateispeicherplatz und teilt diesen dem Nutzer automatisch mit. Jeder, der diesen Link kennt, kann direkt auf die gespeicherten Daten zugreifen. Die Beklagte bietet für die bei ihr abgespeicherten Dateien weder ein Inhaltsverzeichnis an noch eine entsprechende Suchfunktion. Allerdings können Nutzer die Download-Links in so genannte Linksammlungen im Internet einstellen. Diese werden von Dritten angeboten und enthalten Informationen zum Inhalt der auf dem Dienst der Beklagten gespeicherten Dateien. Innerhalb dieser Linksammlungen können Internetnutzer gezielt nach bestimmten, sie interessierenden Dateien suchen. Über die Download-Links im Suchergebnis der Linksammlungen erhalten Nutzer dann Zugriff auf die auf den Servern der Beklagten abgespeicherten Dateien.

Der Download von Dateien von der Plattform der Beklagten ist kostenlos möglich. Der Downloadtraffic wird hierbei für die Nutzer beschränkt, und zwar für nicht registrierte Nutzer auf täglich 0,5 GB und für Nutzer mit einem Free-Account auf täglich 0,75 GE. Zahlende Nutzer, so genannte Premium-User, bekommen dagegen tägl...

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