Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Bekämpfung eines Hochwassers haben die Einsatzkräfte hinsichtlich der zu treffenden Maßnahmen einen Beurteilungsspielraum. Werden in einer komplexen Einsatzsituation bestimmte erfolgversprechende Maßnahmen ergriffen und andere aufgrund nachvollziehbarer Überlegungen verworfen, so begründet es nicht den Vorwurf der Amtspflichtverletzung, wenn sich bei nachträglicher Analyse in Kenntnis der späteren Schadensentwicklung herausstellt, dass in der konkreten Situation eines der nicht gewählten Mittel den Schaden vermeiden hätte können.
2. Ist der Gefahr der Verklausung von Wehren und Brücken bei bisherigen Hochwassern stets mit einfachen Hilfsmitteln erfolgreich begegnet worden, besteht im Falle einer Hochwasserwarnung für dieGewässerunterhaltspflichtigen und die örtlichen Sicherheitsbehörden keine Verpflichtung, an den entsprechenden Stellen Bagger oder anderes schweres Gerät in Bereitschaft zu halten. Etwas anderes gilt nur, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine massive Verschärfung der Verklausungsgefahr bestehen, die voraussehbar mit den bisherigen Hilfsmitteln nicht mehr beherrscht werden kann.
3. Die Sicherheitsbehörden sind im Falle eines Dammbruchs zur unverzüglichen Warnung der voraussehbar von der ausströmenden Flutwelle betroffenen Anwohner durch Lautsprecherdurchsagen oder eine andere effektive Art der Alarmierung verpflichtet. Sind die Verantwortlichen zu einer Einschätzung der Entwicklung der Überschwemmung wegen des Fehlens verlässlichen Kartenmaterials mit genauen Höhenangaben nicht in der Lage, ist das zu warnende Gebiet großzügig zu bemessen.
Stichprobenartige Erkundungsfahrten bei Dunkelheit zur Feststellung der Fließrichtung des Wassers rechtfertigen wegen der Unberechenbarkeit der Geschwindigkeit der Flutwelle und der in der Praxis kaum zu beurteilenden Wirkung vorhandener Retentionsräume und Hindernisse keine Verzögerung der Warnung.
4. Der Inhalt der Warnung richtet sich nach dem Einzelfall. Wenn die konkrete Gefahr einer Überschwemmung von Tiefgaragen und Kellern durch eine möglicherweise in Kürze eintreffende Flutwelle besteht, ist vor deren Betreten wegen Lebensgefahr zu warnen.
5. Ob ein Anwohner eine Warnung tatsächlich gehört und sie zum Anlass für die Sicherung seines Eigentums genommen hätte, ist vom Gericht anhand der Umstände des Einzelfalles festzustellen. Eine bloße Möglichkeit hierfür, ebenso eine gewisse Wahrscheinlichkeit genügt nicht. Besteht eine Amtspflichtverletzung in einem Unterlassen, so kann ein Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden nur bejaht werden, wenn der Schadenseintritt bei pflichtgemäßem Handeln mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre (BGH VersR 1994, 935 [937]).
Normenkette
BGB § 839; GG Art. 34
Verfahrensgang
LG Augsburg (Urteil vom 05.06.2003; Aktenzeichen 1 U 3877/02) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten und der Streithelferin wird Ziff. I. des Urteils des LG A. vom 17.6.2002 wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte ist dem Grunde nach verpflichtet, den Klägern den Schaden aus dem Hochwasser vom 22./23.5.1999 zu ersetzen, der darauf zurückzuführen ist, dass am 23.5.1999 nicht (spätestens) um 1.15 Uhr in der M.-P.-Straße in A. eine Lautsprecherdurchsage erfolgte, die auf den Bruch des Wertachdammes und eine in Kürze zu erwartende Flutwelle hinwies sowie wegen Lebensgefahr davor warnte, Keller und Tiefgaragen zu betreten.
Die weiter gehende Berufung der Beklagten und der Streithelferin wird zurückgewiesen.
Die Berufung der Kläger wird zurückgewiesen.
II. Hinsichtlich des Verfahrens über den Betrag wird der Rechtsstreit an das LG A. zurückverwiesen.
III. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger fordern von der Beklagten Schadenersatz für die Überschwemmung ihres Anwesens durch die Wertach am 22./23.5.1999 (sog. A. Pfingsthochwasser).
Die Wertach, die in den Voralpen entspringt und ein relativ kleines Einzugsgebiet aufweist, ist ein Gewässer erster Ordnung (laufende Nr. 57 des bayerischen Verzeichnisses der Gewässer erster Ordnung).
Im Katastrophenjahr 1910, als der alte Hochablass vom reißenden Lech völlig zerstört wurde und H. unter Wasser stand, zeigten sich im Bereich der Wertach keine Probleme.
Beim Hochwasser im Juli 1932 kam es zu einem Deichbruch der Wertach an der Ostseite südlich der G.-brücke, die den südlichen Teil G. unter Wasser setzte.
Im Juni 1965 kam es nach anhaltenden Regenfällen zu einem Wertachhochwasser. Dabei erwies sich das Durchschleusen von Treibgut an der I. Brücke als größtes Problem. Es kam wegen des Bruchs der Absperrung des Radegundisbaches zu einer Überschwemmung in Pfersee, während der östliche Wertachdamm hielt.
Beim Hochwasser von 1970 ereignete sich keine Überschwemmung.
Ein Hochwasser vom 22./23.2.1999 führte bei km 13 (flussabwärts der Staustufe I.) zu einer Beschädigung der Uferböschung der Wertach.
Nachdem daraufhi...