Leitsatz (amtlich)
1. Einer Klage gegen eine Patentanmelderin, mit der ein Dritter urheberrechtliche Unterlassungsansprüche wegen der Nutzung eines Lichtbilds in einer Patentanmeldung geltend macht, fehlt regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis. Denn im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung überwiegen das Interesse der Patentanmelderin und das öffentliche Interesse an einem geordneten Ablauf des rechtsstaatlich geregelten Patenterteilungsverfahrens, auf das nicht dadurch Einfluss genommen werden soll, dass ein Dritter die Anmelderin durch Unterlassungsansprüche in ihrer Äußerungsfreiheit einzuengen versucht, in der Regel das Interesse des Dritten an der Durchsetzung seiner vermeintlichen urheberrechtlichen Nutzungsrechte. Die zu lauterkeits- und/oder deliktsrechtlich angegriffenen Äußerungen sowie zum Bildnisschutz nach §§ 22, 23 KUG entwickelten Grundsätze sind insoweit auf das Urheberrecht zu übertragen.
2. Verletzen die Anmeldungsunterlagen die vermeintlichen Urheberrechte eines Dritten, so gehen die Ansprüche auf Unterlassung mangels Rechtsschutzbedürfnisses für seine Klage auch insoweit ins Leere, als sie den Inhalt einer Offenlegungsschrift oder einer Patentschrift betreffen.
3. Ausgeschlossen sind in der Regel auch der Anspruch auf Schadensersatz und der seiner Bezifferung dienende Auskunftsanspruch. Mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) wäre es nicht vereinbar, wenn sich eine zunächst redlich erscheinende Nutzung eines Lichtbilds im Patentanmeldeverfahren später in einem Prozess als rechtsverletzend erweist. Aus diesem Grund sind auch Ansprüche auf Geldentschädigung ausgeschlossen, da der gutgläubige Patentanmelder sonst befürchten müsste, wegen einer Bildnutzung im Anmeldeverfahren später mit einer urheberrechtlichen Schadensersatzklage überzogen zu werden.
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 3, Art. 103 Abs. 1; KUG §§ 22-23; PatG §§ 7-8, 21 Abs. 1 Nrn. 1, 3, §§ 22, 34 Abs. 3, § 44 Abs. 2 S. 1, § 59 Abs. 1 Sätze 1, 3, § 81 Abs. 2; UrhG §§ 97-99
Verfahrensgang
LG München I (Aktenzeichen 33 O 11867/18) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 27.10.2020, Az. 33 O 11867/18, berichtigt durch Beschluss vom 30.11.2020, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das Urteil abgeändert und wie folgt neu gefasst wird:
I. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin macht gegen die Beklagte urheberrechtliche Ansprüche wegen der Nutzung eines Fotos in einer Patentanmeldung geltend.
Die Parteien sind im Bereich der Medizintechnik tätig. Die Klägerin forscht u.a. an der Möglichkeit der Transplantation von menschlichem oder tierischem, z.B. schweinernem, cornealem Gewebe, also dem Gewebe der Hornhaut des Auges. Die Beklagte befasst sich u.a. mit der Dezellularisierung von Herzklappen, d.h. mit deren Reinigung von der DNA des jeweiligen Spenders.
Die Klägerin trat deshalb an die Beklagte heran und bat sie, Muster der von ihr hergestellten und an die Beklagte gelieferten Corneaimplantate nach ihren Vorgaben ebenfalls zu dezellularisieren. Die Zusammenarbeit erfolgte auf der Grundlage einer vorab geschlossenen Vertraulichkeitsvereinbarung vom 26.05./01.06.2015 (Anlage K 3).
Ohne Wissen der Klägerin meldete die Beklagte am 30.11.2015 das deutsche Patent DE 10 2015 120 716 (Anlage K 6) an. Als Abbildung 3 enthielt die Anmeldung die auf Seite 3 des landgerichtlichen Urteils abgebildete streitgegenständliche Fotografie. Diese zeigt stark eingetrübtes Corneagewebe, das durch ein nicht erfindungsgemäßes Verfahren in Abwesenheit von einem hierin vorgeschlagenen Polyalkohol dezellularisiert wurde.
Am 21.04./09.05.2016 schlossen die Parteien rückwirkend auf den 26.05.2015 den als Anlage K 7 vorgelegten Lieferungsvertrag ab, dessen § 3 Abs. 4 vorsah, dass sich die Parteien wechselseitig näher bezeichnete urheberrechtliche Nutzungsrechte einräumen.
Nachdem die Klägerin Anfang 2017 von der Patentanmeldung erfahren hatte, mahnte sie die Beklagte mit Schreiben vom 18.12.2017 (Anlage K 11) ab und focht ihre auf Abschluss des Lieferungsvertrags (Anlage K 7) gerichtete Erklärung mit Schreiben vom 29.12.2017 (Anlage K 15) wegen arglistiger Täuschung an.
Die Patentanmeldung wurde am 01.06.2017 offengelegt (Anlage B 18), die Veröffentlichung der Erteilung erfolgte am 11.10.2018. Die patentgemäße Erfindung betrifft ein Verfahren zur Aufbereitung von Corneagewebe für Anwendungen vornehmlich in der Transplantation sowie die Verwendung einer Lösu...