Entscheidungsstichwort (Thema)
Freie Überzeugungsbildung des Gerichts
Leitsatz (amtlich)
Das Gericht ist nicht gehalten, jede auch nur hypothetische lebensfremde Möglichkeit eines Unfallhergangs in seine Überzeugungsbildung einzubeziehen.
Normenkette
ZPO § 286
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 08.02.2010; Aktenzeichen 19 O 4049/08) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten vom 12.3.2010 wird das Endurteil des LG München I vom 8.2.2010 (Az. 19 O 4049/08) abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
A. Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 540 II, 313a I 1 ZPO i.Verb.m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
Entscheidungsgründe
B. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
I. Das LG hat zu Unrecht einen Anspruch der Klägerin auf (hälftigen) Schadensersatz i.H.v. 2.890,46 EUR bejaht.
Nach dem klaren und eindeutigen Ergebnis des in erster Instanz erholten Sachverständigengutachtens vom 24.4.2010, S. 14 = Bl. 59 d.A. (vgl. S. 6 Ersturteil, vorletzter Absatz) einschließlich den Angaben des Sachverständigen in seiner Anhörung vom 21.12.2009 (vgl. Protokoll Bl. 73/78 d.A.), fußend auf den Angaben des Fahrers des klägerischen Taxis, des Zeugen T., und des Beklagten zu 1) (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 8.12.2008, Bl. 31/40 d.A.) ist die Schrägstellung des klägerischen Taxis bei Unterstellung der für § 286 I ZPO erforderlichen Sicherheit nur mit dem vom Beklagten zu 1) beschriebenen Spurwechsel bzw. versuchten Wendemanöver zu erklären. Denn nach § 286 I 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Diese Überzeugung des Richters erfordert keine - ohnehin nicht erreichbare (vgl. RGZ 15, 339; OLG München NZV 2006, 261; Urt. v. 28.7.2006 - 10 U 1684/06 [Juris], st. Rspr., zuletzt Urt. v. 6.11.2009 - 10 U 3386/09) - absolute oder unumstößliche, gleichsam mathematische Gewissheit und auch keine "an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit", sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (grdl. BGHZ 53, 245 [256] = NJW 1970, 946, st. Rspr., insbesondere NJW 1992, 39 [40] und zuletzt VersR 2007, 1429 [1431 unter II 2]; Senat, a.a.O.). Da das LG dem Gutachten des Sachverständigen gefolgt ist (vgl. S. 7 des Ersturteils), bedarf es keiner erneuten Anhörung des Sachverständigen durch den Senat. Die Korrektur des Ersturteils rechtfertigt sich darin, dass das LG aus den zutreffend festgestellten Tatsachen lediglich rechtlich nicht die richtigen Schlüsse gezogen hat.
Die hypothetische Alternative, dass der Beklagte zu 1) in einer Ausholbewegung nach links über den Grünstreifen bzw. Bordstein gefahren ist, um dann von schräg hinten in das in der linken Spur geradeaus fahrende Taxi hinein zu fahren, denn nur so ließe sich der anhand der Schäden festzustellende Kollisionswinkel bei fahrbahnparalleler Fahrt des Taxis erklären, hat weder die Klagepartei (selbst in der Berufungserwiderung fehlt ein derartiger Vortrag), der klägerische Zeuge noch die Beklagten behauptet, ganz abgesehen davon, dass ein derartig unsinniges und ohne sonstigen Anlass auch lebensfremdes Verhalten nicht ernsthaft als mögliche Alternative unterstellt werden kann.
Der Versuch der Klagepartei, dokumentiert in einer vom Klägervertreter gefertigten Skizze (Anlage 2 des Protokolls vom 11.6.2010), darzulegen, dass ein Überfahren des Grünstreifens/Bordsteins durch den Beklagten zu 1) dann nicht erfolgen hätte müssen, wenn das Taxi ganz am äußersten Rand der linken Fahrspur gefahren sei und der vom Sachverständigen festgestellte Winkel um 5 verändert werde, kann dahingestellt bleiben, weshalb es auch einer weiteren mündlichen Anhörung des Sachverständigen S., wie von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat beantragt, nicht bedarf. Denn entscheidend ist, dass der Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, dass anhand der festgestellten Schäden an den Fahrzeugen eine Kollisionsstellung vorliegt, die für die Unfallversion des Beklagten zu 1) spricht (vgl. S. 14 des Gutachtens vom 24.4.2009, Bl. 59 d.A.). Die Klagepartei hat bereits in der Anhörung des Sachverständigen vor dem LG die Frage einer Toleranzgrenze hinsichtlich der Kollisionswinkel angesprochen. Dabei ist der Sachverständige trotz der Bestätigung, dass die festgestellten Kollisionswinkel einer Toleranz von 3 bis 5 unterliegen, von seinem Gutachtensergebnis nicht abgerückt. Hinsichtlich der zweiten Annahme der Klagepartei, der klägerische Zeuge sei ganz am rechten Rand der linken Spur gefahren, findet sich keine Bestätigung durch die Aussage des Zeugen. Der Zeuge hat lediglich ausgeführt, er sei auf "der äußerst linken Fa...