Entscheidungsstichwort (Thema)
Kaufpreis, Berufung, Fahrzeug, Software, Haftung, Antragstellung, Feststellung, Schaden, Kenntnis, Zulassungsverfahren, Anrechnung, Verwendung, Auslegung, Zug um Zug, Treu und Glauben, erstinstanzliche Entscheidung
Verfahrensgang
LG Ingolstadt (Urteil vom 11.10.2019; Aktenzeichen 31 O 782/18) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 11. 10.2019, Aktenzeichen 31 O 782/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 34.916,22 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 02.10.2018 Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs Audi Q 5 2.0 TDI Quattro (FIN: WA...1) zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen werden die Berufung des Klägers und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 38%, die Beklagte 62% zu tragen. Die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz werden gegeneinander aufgehoben.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klagepartei macht gegen die Beklagte Ansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines vom sog. Dieselabgasskandal betroffenen Fahrzeugs geltend.
Ausweislich der mit Anlage K 1 vorgelegten Rechnung vom 10.05.2012 beauftragte der Kläger am 26.10.2011 das Autohaus B. in D. mit der Lieferung eines Audi Q 5 2.0 TDI quattro 125 kw zu einem Kaufpreis von 56.887,80 EUR brutto. Der Kläger erhielt das neue Fahrzeug am 25.05.2012. Am 14.12.2020 (mündliche Verhandlung vor dem Senat) hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 115.868 km.
Zum Zeitpunkt des Kaufs befand sich in dem Fahrzeug, das von der Beklagten hergestellt ist, ein von der V.-AG (V.-AG) entwickelter und produzierter Dieselmotor des Typs EA 189. Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Grundlage der Erteilung der Typgenehmigung waren die Abgasmessungen auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte wurden vorliegend nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.
Die Verwendung der von der Beklagten als "Umschaltlogik" bezeichneten Steuerungssoftware wurde dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) weder von der V.-AG noch von der Beklagten im Rahmen der Tests bzw. Antragstellung zur Erreichung der EG-Typgenehmigung offengelegt. Erst am 22.09.2015 veröffentlichte die V.-AG eine Adhoc-Mitteilung, mit der Auffälligkeiten bei Fahrzeugen mit dem Motor vom Typ EA 189 eingeräumt wurden. Dem Kraftfahrt-Bundesamt war es mit den damals zur Verfügung stehenden Test nicht möglich, die Umschaltlogik zu erkennen.
Nach Bekanntwerden der Softwareproblematik verpflichtete das KBA die Beklagte zur Entfernung der als unzulässige Abschalteinrichtung qualifizierten "Umschaltlogik" und dazu, geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen. Daraufhin wurde ein Software-Update entwickelt, welches auf das Fahrzeug der Klagepartei am 20.02.2017 aufgespielt worden ist.
Die Klage vom 04.05.2018, bei Gericht eingegangen am 09.05.2018, wurde der Beklagten am 01.10.2018 zugestellt. Mit der Klage forderte die Klagepartei die Verurteilung zur Rückzahlung des vollen Kaufpreises ohne Abzug einer Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
Der Kläger vertritt die Ansicht, dass er von der Beklagten vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden sei. Die schädigende Handlung der Beklagten liege in dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs unter Verschweigen der gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung. Dem Kläger sei ein Vermögensschaden entstanden, weil sich der abgeschlossene Vertrag als wirtschaftlich nachteilig herausgestellt habe. Der Kläger habe kein technisch einwandfreies und den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes Fahrzeug bekommen. Das Verhalten der Beklagten verstoße gegen die guten Sitten, weil die Täuschung dem Zweck gedient habe, die Kosten zu senken und rechtlich und technisch einwandfreie, aber teurere Lösungen der Abgasreinigung zu vermeiden. Die Beklagte habe sich weiter mit Hilfe scheinbar umweltfreundlicher Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteile verschafft. Die Täuschungshandlung sei der Beklagten zuzurechnen, denn für die Kennt...