Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufung, Schadensersatzanspruch, Kaufpreis, Fahrzeug, Kaufvertrag, Software, Zulassungsverfahren, Untersagung, Antragstellung, Sittenwidrigkeit, Haftung, Zulassung, Darlegungslast, Zeitpunkt, Zug um Zug, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, allgemeine Lebenserfahrung
Verfahrensgang
LG Ingolstadt (Urteil vom 26.11.2019; Aktenzeichen 71 O 2286/18) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 26.11.2019, Az. 71 O 2286/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 8.620,68 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.02.2019 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A4 Avant Ambition 2.0 TDI 105 (143), Fahrzeugidentifikationsnummer WAUZZZ...047, zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Im Übrigen werden die Berufung der Klagepartei und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Klagepartei 57% und die Beklagte 43%.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klagepartei 74% und die Beklagte 26%.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klagepartei macht gegen die Beklagte Ansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines vom sog. Dieselabgasskandal betroffenen Fahrzeugs geltend.
1. Mit Kaufvertrag vom August 2012 erwarb die Klagepartei von einem Autohaus den hier streitgegenständlichen Audi A4, Avant, 2.0 TDI, Euro 5, 105 kw (143 PS), Erstzulassung 08.11.2011, zu einem Kaufpreis von 25.990,00 EUR brutto als Gebrauchtwagen. Zum Zeitpunkt des Kaufs hatte der Wagen einen Kilometerstand von 27.600 km, zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat von 209.647 km. Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeugs, in dem ein Motor vom Typ EA 189 der V.-AG verbaut ist.
Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Grundlage der Erteilung der Typgenehmigung waren die Abgasmessungen auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.
Die Verwendung der von der Beklagten als "Umschaltlogik" bezeichneten Steuerungssoftware wurde dem Kraftfahrtbundesamt weder von der V.-AG noch von der Beklagten im Rahmen der Tests bzw. Antragstellung zur Erreichung der EG-Typgenehmigung offengelegt. Erst am 22.09.2015 veröffentlichte die V.-AG eine Adhoc-Mitteilung, mit der Auffälligkeiten bei Fahrzeugen mit dem Motor vom Typ EA 189 eingeräumt wurden.
Nach Bekanntwerden der Softwareproblematik verpflichtete das Kraftfahrtbundesamt die Beklagte zur Entfernung der als unzulässige Abschalteinrichtung qualifizierten "Umschaltlogik" und dazu, geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen. Daraufhin wurde ein Software-Update entwickelt, welches auf das Fahrzeug der Klagepartei am 22.03.2017 aufgespielt worden ist.
Die Klage vom 07.12.2018, bei Gericht eingegangen am 20.12.2018, wurde der Beklagten am 08.02.2019 zugestellt. Mit der Klage forderte die Klagepartei die Verurteilung zur Rückzahlung des vollen, d.h. ohne Abzug einer Nutzungsentschädigung, Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs nebst Rechtshängigkeitszinsen.
Die Klagepartei vertritt die Ansicht, dass sie von der Beklagten vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden sei. Der Kläger sei geschädigt worden durch das Inverkehrbringen - unter Verschweigen der gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung zur Erkennung des Prüfstandlaufs - von Dieselmotoren zum Zweck des Verkaufs der von der Beklagten hergestellten Fahrzeuge. Der im Fahrzeug verbaute Motor sei mit Wissen des Vorstands der Beklagten mit einer Manipulationssoftware versehen worden. Es handele sich bei der Entscheidung zur Einführung einer manipulierten Motorsteuerungssoftware um eine derart weitreichende Entscheidung mit hohen Risiken, dass schon nach der Lebenserfahrung von der Kenntnis des Vorstands auszugehen sei, zumal im Hinblick auf bestehende Compliancenormen und Berichtspflichten. Außerdem beruft sich die Klagepartei insoweit auf die sekundäre Darlegungslast der Beklagten. Es sei nicht überzeugend, dass sich die Beklagte darauf beruft, dass...