Leitsatz (amtlich)
1. Die eine Kapitalanlage berührende Behördenentscheidungen sind wesentliche Umstände i.S.v. § 264a StGB und daher im Prospekt mitzuteilen. Der Anleger ist bereits über Bedenken einer entscheidungsbefugten Behörde - auch wenn deren Ansicht rechtlich unzutreffend sein mag - zu informieren.
2. Die aufgrund eines Verlustübernahmevertrags bestehende Gefahr einer Mittelverwendung zu Lasten von Beteiligungen in anderen Segmenten der Anlagegesellschaft ist - unabhängig von seiner späteren Realisierung - ein erheblicher Umstand i.S.v. § 264a StGB.
3. Im Rahmen des § 264a StGB besteht hinsichtlich des Prospekts eine Aktualisierungspflicht für den gesamten Zeitraum des Vertriebs.
Verfahrensgang
LG Deggendorf (Urteil vom 30.07.2003; Aktenzeichen 2 O 693/02) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des LG Deggendorf vom 30.7.2003 aufgehoben.
II. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt,
1. an den Kläger 13.389,84 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz seit 29.1.2003 zu zahlen, Zug um Zug gegen schriftliche Zustimmung des Klägers zur Übertragung seiner Beteiligung an der S. AG mit der Vertrags-Nr. 641858 auf die Beklagten und Übergabe des Zeichnungsscheins mit der Vertrags-Nr. 641858 an diese,
2. den Kläger von weiteren Zahlungsverpflichtungen an die S. AG aus der o.a. Vertragsnummer freizustellen.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
IV. Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
VI. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger macht einen Schadensersatzanspruch, gestützt auf Prospekthaftung und unerlaubte Handlung gegen die 4 Beklagten als damalige Vorstände der S. AG geltend.
Der Kläger hat sich am 27.12.1999 als atypischer stiller Gesellschafter am Unternehmenssegment VII bei der S. AG, die zur sog. G.-Gruppe gehört, mit einer Einmal-Einlage von 21.000 DM zzgl. 5 % Agio und mit der Verpflichtung zur Zahlung von Rateneinlagen von 400 DM monatlich für die Dauer von 180 Monaten (Anlage K 1) beteiligt.
Der in D. wohnende Kläger, wo ihm auch der Emissionsprospekt vom 1.8.1999 (Anlage K 2) ausgehändigt worden ist, stützt seine Klage darauf, dass die S. AG aller Voraussicht nach nicht in der Lage sein werde, den Anlegern die Auseinandersetzungsguthaben auszuzahlen. Dies u.a. deswegen, weil die S., ohne dies im Prospekt anzugeben oder anzukündigen, am 22.9.1999 mit dem Bankhaus P. GmbH & Co. KGaA - der größten Privatbank in Baden-Württemberg - einen Verlustübernahmevertrag geschlossen habe. Tatsächlich sei diese Bank in die Insolvenz gegangen und dadurch u.a. die S. in finanzielle Schieflage geraten. Zudem habe es keine Aufklärung darüber gegeben, dass am 22.10.1999 eine Untersagungsverfügung des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen erfolgt sei, wonach die S. keine Einlagegeschäfte mit ratierlicher Auszahlung von Auseinandersetzungsguthaben habe tätigen dürfen (Anlage K 7). Durch die Untersagungsverfügung habe das Riskio bestanden, dass die S. gezwungen gewesen sei, die Auseinandersetzungsguthaben in einer Summe auszuzahlen. Dieses Risiko habe sich verwirklicht. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, soweit erhebliche aufklärungsbedürftige Risiken nach Prospektherausgabe aufgetreten seien, habe eine Verpflichtung zur Aktualisierung des Prospekts bestanden, der nicht genügt worden sei. Seiner Auffassung nach stünden ihm Ansprüche aus unerlaubter Handlung (§§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 264a StGB, § 826 BGB) ebenso zu wie aus zivilrechtlicher Prospekthaftung.
Er hat beantragt, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn 14.495,13 Euro Zug um Zug gegen Übertragung des Geschäftsanteils Nr. 641858 an der S. AG und der Entnahme i.H.v. 944,19 Euro, hilfsweise gegen Abtretung des Auseinandersetzungsguthabens mit Zinsen i.H.v. 6 % aus 14.495,12 Euro seit 28.12.1999 bis Rechtshängigkeit sowie 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie haben die örtliche Zuständigkeit des LG Deggendorf gerügt, eine unerlaubte Handlung der Beklagten liege nicht vor. So habe die Staatsanwaltschaft Braunschweig nach mehrjährigen Ermittlungen das Verfahren gegen die Beklagten eingestellt. Das Vorliegen von Prospektmängeln haben die Beklagten im Einzelnen bestritten. Der Abschluss des Verlustübernahmevertrags mit dem Bankhaus P. sei nicht der Grund für die spätere Einstellung der Entnahmezahlungen gewesen. Vielmehr seien Zahlungen an das Bankhaus P. auf Grund der gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit der S. AG mit dem Bankhaus erfolgt. Dessen spätere Entwicklung, die schließlich am 27.4.2001 zur Entziehung der Lizenz und sodann zur Insolvenz dieses Bankhauses geführt habe, sei bei Vert...