Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgasskandal: Zur Haftung des Fahrzeugherstellers für das Inverkehrbringen von Fahrzeugen mit von der Konzernmutter entwickelten Motoren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Inverkehrbringen von Fahrzeugen, in deren Motor eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist, stellt auch dann ein sittenwidriges Verhalten dar, wenn die Motoren von einem anderen Unternehmen desselben Konzerns entwickelt wurden. (Rn. 33 - 48)

2. Verantwortlich für alle Belange des EG-Typgenehmigungsverfahrens und für die Übereinstimmung der Produktion bleibt der Fahrzeughersteller. Ein Unternehmen, das Fahrzeuge herstellt, kann sich seiner haftungsrechtlichen Verantwortung nicht dadurch entziehen, dass es einen so elementaren Teilbereich wie das EG-Typgenehmigungsverfahren der Konzernmutter überlässt. Erfolgt dies dennoch tut, muss sich das Unternehmen das Wissen und die Absichten der Konzernmutter zurechnen lassen. (Rn. 37 - 43)

3. Ein Unternehmen darf sich nicht allein auf die fachliche Betriebserfahrung seiner Konzernmutter und deren durchgeführte Prüfungen eines von ihr gelieferten Motors verlassen. Es muss vielmehr die konkreten Eigenschaften erfragen und sich selbst von der mangelfreien Beschaffenheit des Motors im Hinblick auf ihre eigene Verantwortlichkeit im EG-Typgenehmigungsverfahren überzeugen. (Rn. 56)

4. Der geschädigte Fahrzeugkäufer kann den aufgewendeten Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des erlangten Fahrzeugs an die Beklagte zurückverlangen. Er muss sich aber dasjenige anrechnen lassen, was ihm durch das schädigende Ereignis zugeflossen ist. (Rn. 59 - 61)

 

Normenkette

BGB §§ 31, 166 Abs. 1, § 823 Abs. 2, § 826; Richtlinie 2007/46/EG Art. 5; EGV 715/2007 Art. 5 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Ingolstadt (Urteil vom 22.11.2019; Aktenzeichen 41 O 2378/18)

LG Ingolstadt (Urteil vom 18.10.2019; Aktenzeichen 41 O 2378/18)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 22.11.2019, Az. 41 O 2378/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 18.433,86 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 19.02.2019 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A 4 mit der Fahrgestellnummer ...32 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Im Übrigen werden die Berufung des Klägers und der Beklagten zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits der ersten Instanz haben der Kläger 64% und die Beklagte 36%, von den Kosten des Rechtsstreits der zweiten Instanz haben der Kläger 70%, die Beklagte 30% zu tragen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

V. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines vom sog. Dieselabgasskandal betroffenen Fahrzeugs geltend.

Gemäß Auftragsbestätigung vom 14.02.2011, Anlage K 1, erwarb der Kläger den hier streitgegenständlichen Pkw Audi A 4 Ambition Avant 2.0 TDI quattro, mit 170 PS als Neuwagen mit einem km-Stand von 0 km zu einem Kaufpreis von 39.608,19 EUR. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger mit dem Fahrzeug 217.860 km zurückgelegt. Der Kläger hat den Kaufpreis des Fahrzeugs finanziert, wodurch Kreditkosten in Höhe von 3.748,32 EUR und ein weiterer Zinsaufwand von 3.845,82 EUR angefallen sind. Von dem mit dem Darlehen vereinbarten verbrieften Rückgaberecht des Fahrzeugs hat der Kläger keinen Gebrauch gemacht.

Zum Zeitpunkt des Kaufs befand sich in dem Fahrzeug, das von der Beklagten hergestellt ist, ein von der V.-AG (V.-AG) entwickelter und produzierter Dieselmotor des Typs EA 189 (EU5) nebst einer Motorsteuerungssoftware, die erkennt, ob das Fahrzeug auf dem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus unterzogen wird. Es wird in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxidoptimierten Modus, geschaltet. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstandes schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Grundlage der Erteilung der Typgenehmigung sind die Abgasmessungen auf dem Prüfstand.

Die Beklagte, hatte, wie sie in der Berufung unbestritten vorgetragen hat, in den Jahren 2005/ 2006 durch ihr Produkt-Strategie-Komitee, welches sich aus Mitgliedern des Vorstands sowie Mitgliedern aus den Fachabteilungen zusammensetzte, beschlossen, dass der von VW entwickelte Motor in bestimmten Fahrzeugen der Beklagten serienmäßig eingebaut wird. Der erste Einsatz erfolgte im Jahr 2007. Die Beklagte erwarb den Motor samt Software als externes Produkt von de...

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