Leitsatz (amtlich)
Negative Kompetenzkonflikte im Prozesskostenhilfeverfahren sind analog § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bewältigen, wenn ihnen eine Verweisung analog § 281 ZPO und die Ablehnung der Übernahme durch das im Beschluss bezeichnete Gericht vorausgehen.
Verfahrensgang
LG Dessau-Roßlau (Aktenzeichen 4 O 171/13) |
LG München I (Aktenzeichen 35 O 4875/13) |
Tenor
Örtlich zuständig ist das LG München I.
Gründe
I. Die Antragstellerin will die Beklagten, bei denen es sich um Geschäftsführer der teils geschäftsführend tätigen Gründungsgesellschafterinnen des Fonds handelte, auf Schadensersatz aus ihrer u.a. auf falschen Prospektinformationen beruhenden, Mitte 2005 begründeten Beteiligung an der selbst für den Vertrieb der Kapitalanlage verantwortlichen A. Fund GbR mit Sitz in München in Anspruch nehmen. Zu diesem Zweck sucht sie vor dem LG Dessau-Roßlau um Prozesskostenhilfe nach. Das LG und die Antragsgegner haben die Auffassung vertreten, es fehle dem angegangenen Gericht an der örtlichen Zuständigkeit, woraufhin die Antragstellerin die Verweisung an das LG München I beantragt hat.
Das LG Dessau-Roßlau hat sich mit Beschluss vom 27.2.2013 für örtlich unzuständig erklärt und die Sache an das LG München I verwiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, das im Verweisungsbeschluss genannte Gericht sei nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO ausschließlich zuständig. Die Neufassung der Vorschrift zum 1.11.2012 habe hieran nichts geändert. Ziel des Gesetzes sei die Erweiterung des Anwendungsbereichs der ausschließlichen Zuständigkeit auf mittelbare Bezüge zur Kapitalmarktinformation gewesen.
Das LG München I spricht dem Verweisungsbeschluss jede gesetzliche Grundlage ab und bezieht sich zur Begründung seines die Übernahme ablehnenden Beschlusses vom 15.3.2013 auf den Wortlaut des § 32b Abs. 1 ZPO, wonach die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts am Sitz des betroffenen Emittenten, des betroffenen Anbieters von sonstigen Vermögensanlagen oder der Zielgesellschaft nur dann bestehe, wenn auch einer der genannten mit verklagt sei. Hieran fehle es.
Das LG Dessau-Roßlau legt die Sache dem Senat zur gerichtlichen Zuständigkeitsbestimmung vor.
II.1. Die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO für die Bestimmung des zuständigen Gerichts durch den Senat liegen vor. Negative Kompetenzkonflikte im Prozesskostenhilfeverfahren sind analog § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bewältigen, wenn ihnen eine Verweisung analog § 281 ZPO und die Ablehnung der Übernahme durch das im Beschuss bezeichnete Gericht vorausgehen (BGH NJW-RR 1994, 706; Zöller/Geimer, ZPO, 29. Aufl., § 114 Rz. 22a; Musielak/Fischer, ZPO, 10. Aufl., § 118 Rz. 12; Reichling, in: BeckOK-ZPO, Stand: 15.1.2013, § 114 Rz. 17; § 117 Rz. 3; Bacher, in: BeckOK-ZPO, Stand: 15.1.2013, § 281 Rz. 2 f.; Gsell/Mehring NJW 2002, 1991).
2. Für das Prozesskostenhilfeverfahren ist das LG München I zuständig (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO).
Es kann offen bleiben, ob sich aus § 32b Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO i.V.m. § 37 Nr. 3 GZVJu ein ausschließlicher Gerichtsstand der Antragsgegner am Sitz der A. Fund GbR (vgl. auch § 17 Abs. 1 ZPO) ergibt. Bei der gerichtlichen Bestimmung der Zuständigkeit sind auch eingetretene verfahrensrechtliche Bindungen zu berücksichtigen, wie sie hier aus dem Verweisungsbeschluss des LG Dessau-Roßlau und § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO folgen (bspw. BGH NJW-RR 1995, 702). Das gilt auch für das Prozesskostenhilfeverfahren (BGH NJW-RR 1994, 706; 2004, 1437; Zöller/Geimer, a.a.O.; Musielak/Fischer, § 114 Rz. 25; § 118 Rz. 12). Die Bindungswirkung entfiele nur dann, wenn die Verweisung des LG Dessau-Roßlau objektiv willkürlich wäre, weil ihr jede rechtliche Grundlage fehlt, oder dem Beschluss vom 27.2.2013 eine schwerwiegende Verletzung von Parteirechten zugrunde läge (u.a. BayObLG NJW-RR 2003, 356 [357]). Die schlichte Unrichtigkeit des ersten Verweisungsbeschlusses genügt nicht (Senat, Beschluss vom 2.2.2010, 1 AR 39/09 - BeckRS 2010, 05517).
Der Verweisungsbeschluss ist, entgegen der Auffassung des LG München I, nicht willkürlich. Für die Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch ist das Prozessgericht zuständig (§ 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die beabsichtigte Klage stützt sich auf die Behauptung unrichtiger öffentlicher Kapitalmarktinformationen (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 KapMuG), an denen die Antragsgegner beteiligt gewesen sein sollen. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO a.F. setzte bis zum 1.11.2012 weder verklagte Emittenten oder Anbieter noch das Heranziehen besonderer Anspruchsgrundlagen voraus (BT-Drucks. 15/5091, 17, 33 f.; BGH NZG 2007, 351 [352]; OLG Koblenz NZG 2006, 902 [903]; OLG München NJW-RR 2007, 1644 [1645]; Beschluss vom 11.11.2011, 34 AR 277/11 - zitiert in juris Rz. 7; OLG Brandenburg, Beschluss vom 28.6.2011, 1 AR 35/11 - zitiert in juris Rz. 12 m.w.N.). Sollte sich hieran mit Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften vom 19.10.2012, entgegen dem ursprünglichen gesetzgeberischen Ziel, Streitigkeiten um f...