Leitsatz (amtlich)
1. Ein Bieter kann die Vergabekammer auch dann noch in zulässiger Weise anrufen und geltend machen, dass er durch den Verzicht auf die Fortführung eines Verhandlungsverfahrens nach VOF in seinen subjektiven Rechten verletzt ist, wenn der öffentliche Auftraggeber den Verzicht auf die Fortführung bereits bekannt gegeben hat.
2. Zur tatsächlichen Feststellung einer vorgetäuschten Auftragsverhandlung und eines sachlich nicht gerechtfertigten Verzichts auf Fortführung des Verhandlungsverfahrens sowie der fiktiven Aussicht eines Bieters auf Auftragserteilung bei vergaberechtlich beanstandungsfreier Durchführung des Verhandlungsverfahrens.
Verfahrensgang
2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 30.05.2006; Aktenzeichen 2 VK LVwA 18/06, 2 VK LVwA 12/06) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt vom 30.5.2006, 2 VK LVwA 18/06, aufgehoben, soweit er sich auf das o.a. Vergabeverfahren bezieht.
Es wird festgestellt, dass die Antragsgegnerin die Antragstellerin in ihren subjektiven Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt hat, indem sie ohne sachlichen Grund auf die Fortführung des Verhandlungsverfahrens verzichtete bzw. das Verfahren nur noch zum Schein fortführte.
Im Übrigen hat sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin erledigt.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Auslagen der Antragstellerin zu tragen.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 50.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragsgegnerin ist eine Kapitalgesellschaft privaten Rechts, die mit der Landeshauptstadt Magdeburg einen Entwicklungsträgervertrag geschlossen hat, wonach sie als Entwicklungsträgerin die ihr von der Stadt übertragenen Aufgaben nach deren Beschlüssen und Weisungen im eigenen Namen für die Rechnung der Stadt als deren Treuhänderin ausführt.
Sie schrieb den oben genannten Dienstleistungsauftrag mit einem Netto-Auftragswert von mindestens 1 Mio. EUR im Februar 2005 EU-weit im Verhandlungsverfahren mit vorherigem Teilnahmewettbewerb auf der Grundlage der Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) - Ausgabe 2002 - zur Vergabe aus. Das Vergabeverfahren war nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens. Nach Wiederholung der Wertung im Teilnahmewettbewerb, Eingang der Angebote der zur Angebotsabgabe im Verhandlungsverfahren aufgeforderten Bieter und deren Wertung in der ersten Wertungsstufe verblieb nur eine Bieterin, die hiesige Antragstellerin. Die Antragsgegnerin beschloss darauf hin am 27.12.2005, das Verfahren zu beenden und ein neues einzuleiten. Dies teilte sie der Antragstellerin mit Schreiben vom 5.1.2006, versandt mit einfacher Post, mit; das Schreiben ging der Antragstellerin am 9.1.2006 zu.
Die Antragstellerin rügte den Verzicht auf die Auftragserteilung im Vergabeverfahren am 13.1.2006 als vergaberechtswidrig. Nachdem dies erfolglos geblieben war, beantragte sie die Nachprüfung der Aufhebung der Ausschreibung. Die 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt gab der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 3.3.2006, 2 VK LVwA 2/06, auf, das im Februar 2005 begonnene Vergabeverfahren fortzuführen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wies der Senat mit seinem Beschluss vom 17.5.2006, 1 Verg 3/06, als unbegründet zurück.
Inzwischen, am 3.1.2006, hatte die Antragsgegnerin die Vergabebekanntmachung für die erneute Ausschreibung desselben Auftrags im beschleunigten Verhandlungsverfahren mit vorherigem Teilnahmewettbewerb abgesandt. Die neue Vergabebekanntmachung war u.a. im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 6.1.2006 (ABl. S-3) veröffentlicht worden. Die Antragstellerin hatte sich auch in dieser Ausschreibung beworben, war aber nach der formalen Prüfung und der Prüfung auf Vollständigkeit der Bewerbungen ausgeschlossen worden. Die Antragsgegnerin hatte die Antragstellerin zunächst nicht über das Ergebnis des Teilnahmewettbewerbs informiert. Am 10.2.2006 hatte die Antragsgegnerin eine Verhandlungsrunde mit den zwei verbliebenen Bieterinnen des zweiten Vergabeverfahrens durchgeführt; am 13.2.2006 hatte sie ihre Vergabeentscheidung getroffen und kurz darauf diese den unterlegenen Bieterinnen mitgeteilt. Der Antragstellerin hatte sie mit Schreiben vom 24.2.2006, mit einfacher Post versandt und der Antragstellerin erst am 1.3.2006 zugegangen, mitgeteilt, dass ihre Bewerbung nicht berücksichtigt werden könne, weil in ihrem Teilnahmeantrag eine - abweichend von den Teilnahmebedingungen der ursprünglichen Ausschreibung nunmehr auch für einen etwaigen Nachunternehmer geforderte - Erklärung nicht eindeutig sei. Die Antragstellerin hatte die Ausschlussentscheidung am 2.3.2006 als vergaberechtswidrig gerügt. Die Antragsgegnerin hatte mit Schreiben vom 6.3.2006, vom 8.3.2006 und vom 10.3.2006 eine inhaltliche Prüf...