Leitsatz (amtlich)
1. Für Pflichtverletzungen kreiskommunaler Bediensteter haftet der Landkreis unabhängig davon, ob die Pflichtverletzungen bei der Erfüllung kreiskommunaler oder staatlicher Aufgaben aus dem übertragenen Wirkungskreis begangen wurden.
2. Ungeachtet der Notwendigkeit einer richterlichen Haftanordnung bleibt die Vollziehung der Sicherungshaft in der Verantwortung der sie beantragt habenden Ausländerbehörde.
3. Die Amtsträger der Ausländerbehörde müssen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit die innerstaatlich mit Gesetzeskraft geltende Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) beachten. Bei einem Verstoß gegen Art. 5 EMRK ist der Schadensersatzanspruch nach Abs. 5 dieser Vorschrift der Höhe nach nicht auf eine Entschädigung innerhalb der Grenzen des StrEG beschränkt. § 7 Abs. 3 StrEG bietet bei der Bemessung des Schadensersatzanspruches allenfalls eine Orientierung.
4. Dem Landkreis könnte es unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung hier verwehrt sein, gegenüber dem Anspruch des Antragstellers auf immateriellen Schadensersatz wegen konventionsrechtswidriger Haft mit einer Gegenforderung auf Erstattung offener Kosten der Abschiebung aufzurechnen (da im PKH-Verfahren noch offen gelassen).
Verfahrensgang
LG Dessau-Roßlau (Beschluss vom 25.01.2011; Aktenzeichen 2 O 481/10) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der
2. Zivilkammer des LG Dessau-Roßlau vom 25.1.2011 teilweise abgeändert.
Dem Antragsteller wird - ohne die Anordnung einer Ratenzahlungsverpflichtung - Prozesskostenhilfe für seine Rechtsverfolgung in erster Instanz bewilligt, soweit er von dem Antragsgegner die Zahlung einer Entschädigung von bis zu 2.040 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.2.2010 begehrt.
Insoweit wird ihm zur Wahrnehmung seiner Interessen in erster Instanz Rechtsanwalt T. B., N. 13, H., als Prozessvertreter beigeordnet.
Die weiter gehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
A. Der Antragsteller beabsichtigt, den Antragsgegner auf Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 10.500 EUR wegen in der Zeit vom 17.11.2007 bis zum 6.1.2008 zu Unrecht erlittener Abschiebehaft und auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten i.H.v. 837,52 EUR (nebst Zinsen) in Anspruch zu nehmen. Er hat für seine Rechtsverfolgung um die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nachgesucht.
Dem Antragsteller war wegen der in der Zeit vom 7.1. bis zum 15.1.2008 zu Unrecht erlittenen Abschiebehaft mit Beschluss des Senats vom 23.10.2009, Az: 10 W 54/09, für die Rechtsverfolgung eines immateriellen Schadenersatzsanspruches bis zu 1.500 EUR gegen das Land Sachsen-Anhalt Prozesskostenhilfe für die erste Instanz bewilligt worden. Auf den Beschluss wird Bezug genommen.
Auf Antrag der Ausländerbehörde des Landkreises Wittenberg hatte das AG Wittenberg mit Beschluss vom 23.8.2004 gegen den aufgrund des bestandskräftigen Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 17.11.1999 vollziehbar ausreisepflichtigen Antragsteller zur Sicherung der Abschiebung Sicherungshaft für die Dauer von drei Monaten angeordnet. Am selben Tag wurde der Antragsteller in Untersuchungshaft genommen, an die sich - aufgrund des am 22.2.2005 durch das LG Dessau verkündeten rechtskräftigen Strafurteils, mit dem der Antragsteller zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren (6 KLs 2/05) verurteilt worden war - unmittelbar die Strafhaft anschloss. Der Antragsteller verblieb bis zum 16.11.2007 in der Justizvollzugsanstalt D. in Strafhaft, wobei wegen des Sicherungshaftbefehls Überhaft notiert worden war. Mit Beschluss vom 16.11.2007 setzte die Strafvollstreckungskammer des LG Dessau-Roßlau die Reststrafe zur Bewährung aus. Seit diesem Zeitpunkt befand sich der Antragsteller bis zu seiner Ausreise am 15.1.2008 in Sicherungshaft. Am 22.11.2007 war er von der JVA D. in die JVA V. überstellt worden.
Mit dem am gleichen Tag bei dem AG Wittenberg eingegangenen Schreiben vom 7.1.2008 forderte der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers das AG Wittenberg auf, unverzüglich für eine Freilassung des Antragstellers Sorge zu tragen, da der Sicherungshaftbefehl bereits am 23.11.2004 abgelaufen sei. Das AG Wittenberg teilte darauf hin mit Schreiben vom 8.1.2008 mit, eine Freilassung des Antragstellers komme nicht in Betracht, der Sicherungshaftbeschluss vom 23.8.2004 würde vielmehr weiter vollzogen. Die dreimonatige Frist aus dem Abschiebehaftbefehl vom 23.8.2004 laufe nach Fristbeginn am 17.11.2007 erst am 16.2.2008 aus. Zur Begründung führte das AG aus, dass zunächst die durch Haftbefehl des AG Wittenberg angeordnete Untersuchungshaft, anschließend die Strafhaft vollzogen und die Abschiebehaft als Überhaft notiert worden sei.
Am 8.1.2008 legte der Antragsteller gegen die Ablehnung seines Antrags Beschwerde mit der Begründung ein, die Sicherungshaft sei bereits am 23.11.2...